Zwei gekrönte Iznik Fliesenfelder und die Sultansloge der Selimiye Moschee in Edirne
Am 21. November 2024 referierte Frau Dr. Deniz Erduman, Museum für Islamische Kunst zu Berlin, in der LMU über das Thema Von Hamburg nach Edirne. Zwei gekrönte Iznik Fliesenfelder und die Sultansloge der Selimiye Moschee in Edirne.
Der im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe verwahrte gekrönte Fliesenbogen (Inv.Nr. 1901.299) aus der Blütezeit der Iznik-Fliesenproduktion ist nicht nur ein Zeugnis höchster Kunstfertigkeit osmanische Keramiker, er wirft gleichzeitig Fragen über seinen Ursprung auf. Die Provenienzkette lässt sich lediglich bis zum Veräußerer, dem Hamburger Kunsthändler J.H. Ramseger & Co, von dem Direktor Justus Brinckmann im Jahr 1901 das Fliesenfeld erwarb, zurückverfolgen. Nur drei dieser gekrönten großen Fliesenfelder sind heute noch nachweisbar. Sie deuten aufgrund ihrer Größe und Krönung auf einen direkten Auftrag aus dem Sultans-hof hin. Die anderen zwei der drei Fliesenfelder befinden sich in der Sultansloge der Selimiye Moschee in Edirne.

Die 1575 fertiggestellte Selimiye Moschee gilt zurecht als das Alters- und Meisterwerk des berühmten osma-nischen Hofarchitekten Sinan. Auftraggeber war Sultan Selim II. (1566-1574), Sohn von Süleyman dem Prächtigen (1520-1566). Die ausgewogene Komposition der architektonischen Elemente des Baus spiegelt sich auch in der Verwendung von Iznik-Fliesen als Dekorationselemente wider. Der reduzierte Einsatz dient der Akzentuierung einzelner architektonischer Elemente und fokussiert auf die Kiblawand.
Ganz im Kontrast zum Hauptraum der Moschee steht die als offene Empore konstruierte Sultansloge auf der linken Seite der nach Südosten ausgerichteten Kiblawand. Sie ist ein über und über und von Wand zu Wand mit Iznik-Fliesen dekoriertes kleines Juwel. Es handelt sich um eine Auswahl der besten und feinsten Iznik-Fliesen, die das Keramikzentrum hervor gebracht hat. Neben kalligraphischen Inschriften ist der Hauptraum mit der angrenzenden Gebetsnische ein Garten, gefüllt mit Frühlingsblumen, -sträuchern und Obstbäumen im natura-listischen Stil. Auf der gegenüber-liegenden Wand öffnet sich der Zugang zu einer itikaf hücresi genannten kleine Zelle, die zum persönlichen und ganz privaten Rückzug des Sultans gedacht war. Sie ist völlig schmucklos mit glatten Steinwänden gehalten.
Die beiden gekrönten Iznik-Fliesenfelder liegen sich genau gegenüber. Sie schmücken das Eingangsportal der Loge sowie den Eingang zur schlichten Zelle. Aufgrund ihrer Formsprache und ihrem Dekor stehen sie in engem Zusammenhang mit dem Hamburger Fliesenfeld und müssen in dieselbe Zeit datiert werden. Der über dem Eingangsportal befindliche weißgrundige Bogen verfügt über das gleiche Designschema wie das Hamburger Vergleichsbeispiel. Bei genauer Betrachtung fällt allerdings auf, dass es im Motiv des Bogens von Edirne einige Unstimmigkeiten gibt. Während das zentrale Feld intakt ist, sind an den Enden etliche Fliesen beschnitten und das Feld ist insgesamt verkleinert worden. Ein Teil der herausgeschnittenen Fliesen kann in oberen Randzonen der Längswand der Loge entdeckt werden. Die Einzelfliesen wurden zurechtgeschnitten und verbaut. Diese Einzelfliesen sowie das Hamburger Fliesenfeld mit dem identischen Musteraufbau konnten nun herangezogen werden, um den Fliesenbogen in seiner ursprünglichen Größe zu rekonstruieren. Das Ergebnis der Untersuchung war, dass dieser beschnittene Fliesenbogen ursprünglich über eine Breite von 294,5 cm und eine Höhe von 219 cm verfügt haben musste. Mit diesen Maßen war der gigantische Bogen viel zu groß für die Fläche oberhalb des Durchgangs. Es lässt sich heute nur vermuten, was der Grund für die Herstellung eines an dieser Stelle viel zu großen Fliesenfelds gewesen sein mag. Ein Irrtum lässt sich sicher ausschließen, da wir anhand des gegenüberliegenden Zwillingsbogens sehen können, dass das Maß exakt bestimmt worden war. Interessanterweise passen die Maße des 230 cm breiten Hamburger Fliesenbogens deutlich besser über das Durchgangsportal.
Anhand von Sultansdekreten wissen wir, dass Selim II. bei Meisterarchitekt Sinan zur gleichzeitigen Fertigstellung einen Kiosk im Palast von Edirne in Auftrag gegeben hat. Selim II. liebte die alte Residenzstadt Edirne und den dortigen Palast und verbrachte dort gerne seine Zeit. Während der Bauzeit der Moschee erkrankte er jedoch schwer und mahnte mehrfach zur Eile bei der Fertigstellung. Er starb, ohne das fertige Meisterwerk sehen zu können, im Dezember 1574 in Istanbul. Architekt Sinan eilte nach dem Tod des Herrschers sofort in die Hauptstadt in den Dienst des neuen Sultans Murad III. (1574-1595). Wir wissen nicht, wie weit die Arbeiten am Palast und an der Sultansloge bei seinem Weggang gediehen waren. Sultan Murad befahl in der Folgezeit den Abschluss der Arbeiten an der Moschee, ohne jedoch die Aufsicht Sinans. In diesem Kontext müssen der beschnittene Fliesenbogen sowie sein kleineres Pendant aus Hamburg betrachtet werden. Der Palast von Edirne wurde im Osmanisch-Russischen Krieg von 1877-78 völlig zerstört. Wir wissen heute nicht, ob der Kiosk für Selim II. jemals in vollem Umfang verwirklicht wurde. Falls ja, ist davon auszugehen, dass er mit den besten Iznik-Fliesen ausgestattet worden war. Der Hamburger Fliesenbogen, der nachweislich in engem Zusammen-hang mit Edirne steht, wurde möglicherweise anstelle des ursprünglich für den Palast gedachten großen Fliesenbogens verbaut und könnte zu den aus den Ruinen des Palastes geretteten Fliesen gehören. Dies ist eine Vermutung mit vielen Fragenzeichen. Mit letzter Sicherheit wird sich dieses Rätsel wohl nie lösen lassen.