“Als legitimen Nachfolger der legendären Zeitschrift für die Kunst und Architektur der islamischen Länder ARS ISLAMICA (1) wird man wohl MUQARNAS. An Annual on Islamic Art and Architecture (2) bezeichnen können. ARS ORIENTALIS (3) und ISLAMIC ART. Studies on the Art and Culture of the Muslim World (4) sind aus mehreren Gründen nicht vergleichbar. Erwähnen sollte man in diesem Zusammenhang jedoch die beiden einzigen deutschsprachigen Vertreter des Genres, die aber Geschichte sind.
- Zunächst Das Orientalische Archiv. Illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte und Völkerkunde der Länder des Ostens, die in den Jahren 1910 bis 1912 vierteljährlich (!) bei Hiersemann, Leipzig, erschien und von Hugo Grothe herausgegeben wurde. Sie ist in ihrem „regionalen“ Umfang – wohl der Definition des „Morgenlandes“ der DMG verpflichtet – am ehesten mit ARS ORIENTALIS vergleichbar, enthielt aber auch Elemente, für die heute andere Publikationen stehen. Die insgesamt 12 erschienen „Hefte“ gehören inzwischen zu den antiquarische Kostbarkeiten.
- Ferner die Kunst des Orients, begründet und einige Jahre herausgegeben von Ernst Kühnel (später von Klaus Brisch und Richard Ettinghausen) und vom Franz Steiner Verlag, Wiesbaden, verlegt, beschäftigte sich praktisch ausschließlich mit der Islamischen Kunst und Architektur. Die Zeitschrift erschien von Herbst 1950 bis 1980 in insgesamt nur 15 opulenten Heften.
Gemeinsam ist und war allen genannten Publikationen ein sehr hohes Niveau, was Redaktion, Autoren, Text, Apparat, Abbildungen und Gestaltung angeht. Die von einem prominenten Mitglied der Gesellschaft vorgeschlagene – und Ende der neunziger Jahre im Vorstand diskutierte – „Transformation“ von EOTHEN in eine Zeitschrift für Islamische Kunst, konnte angesichts solcher Konkurrenz am „Weltmarkt“ keine Chance haben – was hier schon eher als Kuriosität angefügt sein mag.
Im 2010 erschienenen Band XXVI von MUQARNAS gibt es drei bemerkenswerte Beiträge, die für die Mitglieder der Gesellschaft interessant sind.
- Prof. Avinoam Shalem hat dankenswerterweise zusammen mit einem Dozenten der Universität Paris-Sorbonne, Jean-Pierre Van Staevel, einen Text herausgegeben, den Prof. Marianne Barrucand zur Grundlage ihres für den 12. Juli 2008 vorgesehenen Vortrages der Gesellschaft in der LMU konzipiert hatte. Da sie damals bereits zu krank war, um die Reise nach München anzutreten, hatte sie Avinoam Shalem gebeten, den übersandten Text zu verlesen. Am 25. Juli starb Frau Barrucand. Es handelt sich um eine vorbereitende Veröffentlichung zu dem umfangreichen Material, das der wissenschaftlichen Öffentlichkeit in einem für Ende 2009 geplanten Werk über die Ausgrabungen der Autorin in Tunesien vorgestellt werden soll. Marianne Barrucand und Mourad Rammah, Sabra al-Mansuriyya and Her Neighbors during the First Half of the Eleventh Century: Investigations into Stucco Decoration, SS. 349-376, 6 s/w Abb. und Pläne, 64 farb. Abb.
- In einem Cumulative (Chronological) Index of Articles werden alle in den vorangegangenen 25 Bänden von Muqarnas veröffentlichen Beiträge gelistet. Ihre Autoren sind – so könnte man etwas überprononciert sagen – durch eine Veröffentlichung in Muqarnas „zur Ehre der Altäre“ erhoben. Interessant – und für unsere zwanzigjährige Gesellschaft ehrenvoll anzumerken – ist dabei, wie viele Freunde, Referenten und Mitglieder unserer Gesellschaft sich unter den Autoren befinden; sie können leider hier nicht aufgezählt werden.
- Zu dieser Ehre hat es nun auch Marcus Schadl gebracht, der bereits zweimal mit Vorträgen Gast der Gesellschaft war. In Muqarnas XXVI findet sich sein Beitrag The Shrine of Nasir Khusraw: Imprisoned Deep in the Valley of Yumgan, SS. 63-93, 21 s/w Abbildungen.
Den Band XXVIII (2011) widmet die Herausgeberin Gülrü Necipoglu ihrem Vorgänger, dem am 8. Januar 2011 im Alter von 81 Jahren gestorbenen OLEG GRABAR, einen Nachruf, in dem sie dessen außerordentliche Verdienste in seinem Fachgebiet würdigt. Grabar war u.a. 21 Jahre lang Professor für die Geschichte der islamischen Kunst und Architektur in Harvard und die treibende Kraft für die Gründung des Aga Khan Programms für Islamische Architektur. Er war der Gründer von Muqarnas und gab das Jahrbuch in den Jahren 1983-92 heraus, bevor Frau Necipoglu diese Aufgabe übernahm. In Muqarnas erschienen die Bibliographien seiner zahlreichen Schriften und zwar in den Bänden X, XXV und die abschließende in diesem Band.
In einem der zehn Beiträge behandelt unser früheres Mitglied Doris Behrens-Abouseif „The Complex of Sultan Mahmud I in Cairo“. Wer sich für die Kunst der Klassischen Moderne interessiert, wird sich über zwei Beiträge freuen, die ausführlich das Umfeld der ägyptischen Schattenspielfiguren beleuchten:
- Alain F. George, Kunsthistoriker der Universität Edinburgh, befasst sich mit „The Illustrations of the Maqamat and the Shadow Play“ (SS. 1-42)
- Marcus Milwright, Department of History in Art, University of Victoria, British Columbia, Canada, schreibt über „On the Date of Paul Kahle’s Egyptian Shadow Puppets“ (SS. 43-68).
Kandinsky hatte in dem von ihm und Franz Marc 1912 herausgegebenen „Almanach“ Der Blaue Reiter über das Buch verstreut insgesamt 8 „Egyptische Schattenspielfiguren“ abgebildet, die wohl in der Hauptsache zur Illustration seines Beitrags „Über die Formfrage“ dienten (Almanach SS. 74-100). Unter den Abbildungen befand sich die nebenstehende Tafel.
Im Verzeichnis der „Reproduktionen“ ist im Almanach auf S. 136 in der Anmerkung 1 folgendes notiert: „Die hier reproduzierten egyptischen Schattenspielfiguren wurden uns von Herrn Dr. Paul Kahle, Halle, aus seiner Sammlung freundlichst zur Verfügung gestellt. Dr. Kahle hat diese Figuren auf seinen egyptischen Reisen gesammelt zu einer Arbeit, die im „Islam“ erschienen ist“.
Der Beitrag von Milwright hellt die Biographie Kahles auf: geboren 1875 in Hohenstein, Lutheranischer Pastor, Semitist in Giessen und Bonn, nach Emigration nach Großbritannien auch in Oxford, nach 1945 wieder in Bonn und Münster, Professor für Altes Testament, starb 1964 in Düsseldorf. Der Autor beschreibt den Erwerb von etwa 80 Figuren, die nicht mehr alle nachweisbar sind. Jedoch befinden sich einige im Linden Museum Stuttgart, im Ledermuseum Offenbach und (u.a. die abgebildete) im Münchner Stadtmuseum, Puppenspielsammlung. Milwright befasst sich insbesondere mit der umstrittenen Datierung der Figuren.
Der Ende 2012 erschienene Band XXIX bringt zunächst vier Beiträge zur künstlerische Interaktion Orient / Italien. Der umfangreichste Beitrag dazu stammt von der Herausgeberin Necipoglu selbst und behandelt „Visual Cosmopolitanism and Creative Translation: Artistic Conversations with Renaissance Italy in Mehmed II’s Constantinople“. Dann folgt Christelle Baskins mit einem Artikel über Abbildungen von Türken und Turkmenen auf einer florentinischen Hochzeitstruhe von ca. 1460. Ana Pulido-Rull stellt ein anonymes prächtig illuminiertes venezianisches Manuskript für Sultan Süleyman vor. Im nächsten Artikel spinnt Suzan Yalman Verbindungsfäden zwischen dem anatolischen Herrscher ‚Ala al-Din Kayqubad (r. 1220-37) und dem gleichzeitigen Herrscher im Heiligen Römischen Reich Friedrich II. von Hohenstaufen (r. 1220-50): „‚Ala Al-Din Kayqubad Illuminated: A Rum Seljuq Sultan as Cosmic Ruler“. Der „italienische“ Teil des Bandes wird mit dem Beitrag von Matthew D.Saba „Abbasid Lusterware and the Aesthetics of ‚Ajab“ verlassen. Es folgt die Betrachtungen über „The Khoja Zainuddin Mosque in Bukhara“ vom Autorenpaar Jasmin Badr und Mustafa Tupev, die mit einem Zitat von Andrea Palladio aus den vier Büchern über Architektur eingeleitet werden. Das Schicksal einer illustrierten Handschrift aus dem 16. Jh., die Sultan Selim II (r. 1524-76) als Geschenk erhielt und die im 19. Jh. – immer noch im Besitz des Osmanischen Herrscherhauses – durch Inschriften ergänzt wurde, schildert Ünver Rüstem in „The Afterlive of a Royal Gift: The Ottoman Inserts of the Shahnama-I Shahi„. Ein weiterer Beitrag mit einem Thema aus dem Reich der Osmanen, diesmal in die Gefilde des Orientalismus des 19. Jahrhunderts, trägt dn Titel „Making Sense of Osman Hamdi Bey and his Paintings“.
Der Band schließt unter „Notes and Sources“ mit der Untersuchung der mittelalterlichen Stadt Hulbuk, der Hauptstadt der Banijuriden (ca. 847-963) im östlichen Zentralasien: „Hulbuk: Architecture and Material Culture of the Capital of the Banijurids in Central Asia (Ninth-Eleventh Centuries)“ von Pierre Siméon.
Muqarnas präsentiert in diesem Band einige Preisträger verschiedener internationaler Wissenchaftspreise in gewohnt aufwändiger Verarbeitung (Leinen, Schutzumschlag, brillant gedruckt auf hochwertigem Papier). Das ist eben BRILL, möglich aber auch weil „Sponsored by The Aga Khan Program for Islamic Architecture at Harvard University and the Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Massachusetts“. Diesmal 421 Seiten, ISBN 978-90-04-2342-8, 59 €
(1) ARS ISLAMICA, die halbjährlich erschienene und zunächst 1934 von Mehmet Aga-Oglu, bald von Richard Ettinghausen, herausgegebene Zeitschrift war eine Publikation des Research Seminary in Islamic Art der Universität von Michigan in Ann Arbor. Leider stellte sie nach 16 Volumes 1951 ihr Erscheinen ein. Von wenigen Original-Einzelheften abgesehen, gibt es im Handel nur noch einen in Deutschland bei Schmidt Periodicals hergestellten Nachdruck des Gesamtwerks.
(2) MUQARNAS erschien 1983 und 1984 zunächst bei Yale University Press, und wird seit 1985 von Brill, Leiden, verlegt. Der erste Herausgeber war Oleg Grabar, die derzeitige Herausgeberin ist Gülrü Necipo¢lu. Von Anfang an wurde MUQARNAS von den Aga Khan Stiftungen gesponsert. Wohl auch deshalb ist ihr edles „Outfit“ in weinrotem geprägten Ganzleinen mit Schutzumschlag einzigartig im Reigen dieser Publikationen.
(3) ARS ORIENTALIS gilt zwar als die Fortsetzung von ARS ISLAMICA.. Doch umfaßt die seit 1954 und heute noch beim Department of the History of Art, University of Michigan, and the Freer Gallery of Art, Smithsonian Institution betreute, (zuletzt) jährlich erscheinende Zeitschrift „the art and archaeology of Asia, including the ancient Near East and the Islamic world“, ist also nicht primär auf die islamische Welt ausgerichtet. Als vorläufig letzter Band ist nun Volume 36 (2006) erhältlich.
(4) ISLAMIC ART, von den Herausgebern Ernst J. Grube und seiner Gattin Eleanor Sims gut betreut und von Oxford University Presse verlegt, erschien erstmals 1981, sollte danach jährlich herauskommen, hat aber bisher (2001) nur fünf umfangreiche Bände erreicht; Band 6 ist für März 2010 angekündigt. Wichtig ist allerdings der Supplementband I, von Ernst J. Grube und Jeremy Johns The painted Ceilings of the Cappella Palatina (2005).