Vier Jahre vor seinem Meisterwerk „Aromata“¹ hat Newid bereits ein ähnlich beeindruckendes Werk vorgelegt. Hatte ich das unlängst von mir besprochene Buch „eine Art Kulturgeschichte des Islam durch das Medium der Düfte“ genannt ², so könnte man das hier anzuzeigende Buch eine Art Einführung in die Hagiographie der Schia mittels Bildern nennen. Das Buch zerfällt in zwei große Teile, den monographischen ersten, und den ikonographischen zweiten Teil.
Der erste Teil (SS. 9-128) nähert sich dem Thema in mehreren gründlichen und sachkundigen Einleitungen, und zwar in die Geschichte der Entstehung der Schia, mit Schwergewicht auf der Tragödie von Kerbela, die ja auch im Mittelpunkt der bildlichen Darstellungen steht – ein hochdramatisches Geschehen, das auch ein bezeichnendes Licht auf die von Bürgerkriegen zerrissene Frühzeit des Islam wirft. Dieser Teil endet mit einer Übersicht über die Zweige der Schia. Eine Einführung in die religiöse Malerei der Schia schließt sich an (Abschnitt 2).
Abschnitt 3 gilt der Heiligenverehrung in der Schia, wobei der Autor auch hier wieder weit ausgreift , etwa durch ein ausführliches Kapitel über „Heiligenverehrung in der neupersischen Literatur“. Hier wäre allerdings anzumerken, dass in den Proömien der großen persischen Epen Nizamis und seiner Nachahmer zwar auf das Gotteslob jeweils das Lob des Propheten Muhammad folgt, nicht aber das Lob `Alîs.
Abschnitt 4 behandelt mittels ausgewählter Beispiele die „Darstellung der Heiligenverehrung und der Passionsspiele in Reiseberichten der Safawiden- und Kadscharenzeit“. Die Texte, die hier folgen, sind meist aus Halms Schia-Buch zitiert – eine Ausnahme bei Newid, der sonst fast immer aus den Quellen zitiert, als Übersetzer wohlgemerkt, was sich hier erübrigte. Es sind Namen die wir aus Goethes „Noten und Abhandlungen“ kennen, Pietro della Valle, Tavernier, Olearius (höchst reizvoll – sein barockes Deutsch), sowie Evliya Tschelebi und William Francklin, die alle Ähnliches berichten.
So ausgerüstet mit Vorkenntnissen, ist der Leser nun befähigt und befugt, sich dem Bildteil zuzuwenden. Sehr zu begrüßen ist es, dass Newid auch die Kalligraphie in seine Betrachtungen einbezieht, er nennt es das anikonische Material – denn es ist nun einmal nicht zu leugnen, dass die wirklich großen künstlerischen Leistungen – neben der Architektur und dem Kunsthandwerk – im Bereich der islamischen Schriftkunst und Ornamentik zu suchen und zu finden sind: das unbegreifliche Wunder, das immer aufs Neue den Kernsatz mystischer Theologie bewahrheitet „Gott ist schön und Er liebt die Schönheit“. Diesen Qualitätsunterschied bestätigt auch die Materialsammlung des Autors. Die persische Miniatur, die sich in ihren Spitzenleistungen durchaus mit der Kalligraphie und den genannten Künsten vergleichen kann, kommt in seinem Buch nur am Rande vor, weil diese Kunst sich eben nur am Rande mit Themen der Heiligenverehrung befasst hat.
Auch der Bildteil ist reich gegliedert:
- A1 – A32: Anikonische Darstellung der 14 Heiligen der Schiiten in Form von Inschriften.
- B1 – B9: Darstellung des Propheten und seines Umfeldes
- C1 – C10: Einzeldarstellungen des Imam `Alî
- D1 – D11: Gruppendarstellungen der Heiligen Familie
- E1: Einzeldarstellung des Imam Hasan
- F1 – F8: Darstellungen des Imam Husain
- G1 – G16: Darstellungen von `Abbâs
- H1 – H8: Darstellungen des jungen `Alî Akbar
- I1 – I4: Darstellungen des jungen Qâsem
- J1 – J18: Gesamtdarstellungen der Karbala-Tragödie
- K1 – K24: Ta`ziye-Darstellungen, Muharram-Prozessionen und relevante Themen
- L1 – L10: Das Martyrium der Imame und deren Grabheiligtümer im Überblick
Hieran schließen sich noch einige Abbildungen zu weniger zentralen Themen an:
- M1: Abraham
- M2: Die Josephslegende
- M3 – M4: Derwische
- M5: Himmelreich mit heiligen Personen
- N1 – N3: Himmelreich mit Engeldarstellungen
Jedes einzelne Bild wird detailliert beschrieben und analysiert, Inschriften werden übersetzt. Den Abschluss bildet ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis, aufgeteilt in Primärquellen (SS. 310-318) und Sekundärquellen (SS. 318-337).
Das Buch zeugt, wie auch Newids sechs Jahre später erschienenes „Aromata“, von profunder Quellenkenntnis und solidem wissenschaftlichem Handwerk. Es ist zudem in erfreulich gut lesbarem Deutsch geschrieben und es verliert sich nie in wissenschaftlichen Quisquilien oder Querelen ³. Eine bewunderungswürdige Leistung und ein rundum gelungenes Werk, das jedem an der Schia interessierten Leser wärmstens empfohlen sei.
¹ Mehr Ali Newid Aromata in der iranischen Kultur. Unter besonderer Berücksichtigung der persischen Dichtung, Iran – Turan Bd. 11, Reichert Verlag Wiesbaden 2010
² In EOTHEN V. Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur, SS. 7-12, Scaneg Verlag München 2012
³ In den arabischen Namen gibt es einige Schreibfehler, z.B. lies Murra statt Marra, `Adî statt `Adâ, Haggâg statt Hugâg, Umyyaden statt Ummayaden.
Der Rezensent Prof. Dr. Johann Christoph Bürgel war von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1995 Professor und Direktor für Islamwissenschaft an der Universität Bern.
Mehr Ali Newid Der schiitische Islam in Bildern. Rituale und Heilige Edition Avicenna München 2006, 335 S., 150 meist farbige Abbildungen, ISBN 9783980938471, 39,80 €.