Christoph Bürgel*, weiland Student in Göttingen, berichtet in seinen Autobiographischen Skizzen (EOTHEN VI, SS. 27 ff) launig darüber, wie sein damaliger Lehrer, der Arabist Albert Dietrich (1912-2015), ihn nach Erscheinen seiner Dissertation (1965) gemahnt habe, an die Habilitation zu denken.
„Ich dürfe ein Thema nach meinem Geschmack wählen, also durchaus etwas Literarisches. Das war generös. Aber ich sagte mir: Sein Interesse ist Medizingeschichte. Hinzu kam, dass ihm Prof. Fuad Sezgin, der Gründer und Leiter des Frankfurter Instituts für Geschichte der arabisch-islamischen Naturwissenschaften, eine arabische Handschrift zugespielt hatte mit dem vielversprechenden Titel Adab at-tabîb, Die Bildung des Arztes, wo das Wort adab, wie mir später klar wurde, eine arabische Übersetzung des griechischen Wortes paideia ist. Die Handschrift enthielt eine Fülle von Zitaten aus griechischen medizinischen Quellen, namentlich Hippokrates und Galen“. Bürgel konnte damals Dietrich umstimmen, der ihm eine bloße Edition und Übersetzung als Thema der Habilschrift vorschlug, letztlich aber damit einverstanden war, wenn sein Schüler „auf der Basis dieser und weiterer zu entdeckender Handschriften eine Monographie“ schreiben würde.
Bürgel reiste dann zunächst nach Istanbul und machte in den reichhaltigen Bibliotheken dort „tatsächlich erstaunliche faszinierende Entdeckungen“. Die DFG ermöglichte weitere Forschungen in Beirut und Bursa. Das in sieben Wochen gesammelte Quellenmaterial führte zu einem „Konvolut von 750 S. Typoskript betitelt Untersuchungen zum ärztlichen Leben und Denken im islamischen Mittelalter“, das er im Sommer 1968 der Fakultät in Göttingen einreichte.
Bürgel hat in den letzten Jahren immer wieder von seinem großen Wunsch gesprochen, dass die Habilschrift einmal das Licht der gelehrten Öffentlichkeit erblicken möge; in EOTHEN gab es noch 2015 die Fußnote „Neuerdings besteht Aussicht, dass diese Untersuchungen publiziert werden.“
Schon ein Jahr später war es dann soweit. Gelingen konnte das Projekt jedoch nur, wenn dem Autor jemand zur Seite stand, der nicht nur die Literatur des vergangenen halben Jahrhunderts in das Werk einarbeitete, sondern auch die heute notwendige Digitalisierung und Formatierung des Manuskripts übernehmen würde; schließlich galt es, die Indices zu dem ungeheuren Stoff von über 500 Druckseiten zu erstellen. Bürgel fand diesen Helfer in einem befreundeten Wissenschaftler, Dr. Fabian Käs, der 2001 im Nahostinstitut der LMU seine Magisterarbeit abgeliefert hatte und dort 2008 im Fach Semitistik zum Dr. phil. promoviert wurde. Nach Aufenthalten in Frankfurt und Göttingen ist er heute als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Martin Buber Institute der Universität Köln tätig. Zu seinen Veröffentlichungen zählen Die Mineralien in der arabischen Pharmakognosie (Wiesbaden 2010), Die Risāla fī l-Ḫawāṣṣ des Ibn al-Ǧazzār (Wiesbaden 2012), und Al-Maqrīzīs Traktat über die Mineralien (Brill, Leiden 2015).
Mir ist es lediglich möglich, Bürgels Buch kurz zu beschreiben, eine fachliche Würdigung kann nur ein Fachwissenschaftler leisten; eine solche Rezension steht, soweit ich sehe, noch aus.
Der Verlag BRILL – der für den Autor von seiner heute geltenden Linie abgewichen ist, nur noch Werke in englischer Sprache zu publizieren – bemerkt in seiner Ankündigung folgendes:
Das vorliegende Buch widmet sich den Lebensumständen und der Berufsethik der arabischen Ärzte des Mittelalters. Auf der Grundlage zahlreicher biographischer, protreptischer, deontologischer und isagogischer Schriften untersucht Bürgel verschiedenste Aspekte der medizinischen Ausbildung, der Berufsausübung und der Rolle von Ärzten in der islamischen Gesellschaft. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Bewahrung und Weiterentwicklung der antiken griechischen Berufsethik. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Wechselbeziehungen zwischen wissenschaftlicher Medizin und islamischer Religion.
Der Autor erzählt in einem Vorwort etwas über die Geschichte des Buches und gibt dann eine Übersicht über das verwertete Material. Das habe er „mit nur verschwindend geringen Ausnahmen auf die Auswertung arabischer Quellen beschränkt“. Damit werde ein „bestimmter ziemlich einheitlicher Kulturraum umschrieben“, der sich über Irak, Syrien, sowie im Westen über Ägypten bis zum Magrib und al-Andalus erstrecke, und im Osten das bis zum Jahre 1000 arabisch schreibende Persien einbegreife. Nach diesen Seiten I bis XXXVI folgt eine kurze Einleitung.
Von der Inhaltsübersicht übernehme ich lediglich die Hauptüberschriften:
Teil I. Orts- und Grenzbestimmungen der Medizin
1. Die Definition der Medizin (ḥadd aṭ-ṭibb)
2. Die Einteilung der Medizin (taqsīm/aqsām aṭ-ṭibb)
Die „natürlichen“ und die „notwendigen“ Dinge
3. Die Legitimität der Medizin (ṣiḥḥat aṭ-ṭibb)
4. Der Adel der Medizin (šaraf aṭ-ṭibb)
5. Die medizinischen Schulen (firaq aṭ-ṭibb)
6. Die Erkenntnismittel der Medizin
7. Das Ideal der „Symmetrie“ (iʿtidāl)
Teil II. Die Ausbildung der Ärzte
1. Eignung und Berufswahl
2. Allgemeine Umrisse des Medizinstudiums
3. Der Unterricht im maǧlis
4. Der Unterricht am Hospital (bīmāristān)
5. Die praktische Lehrzeit (ḫidma)
6. Der Lehrstoff I: Die propädeutischen Fächer
7. Der Lehrstoff II: Der Alexandrinische Kanon
8. Allgemeine Bildungsbestrebungen
9. Die Spezialisierung
10. Die Prüfung der Ärzte (miḥnat/imtiḥān al-aṭibbāʾ)
Teil III. Die praktische Berufsausübung des Arztes
A Erscheinungsformen des Arztes
1. Lebensführung und Berufsethik
2. Der Erfolgsarzt
3. Der Scharlatan
4. Der Arzt als Hüter der Gesundheit
5. Der Arzt als Heilender I.: Der Arzt im Sprechzimmer, im Krankenzimmer
und im Hospital
6. Der Arzt als Heilender II.: Psychotherapeutica
B Zur Stellung des Arztes in der Gesellschaft: Der Arzt und seine Partner
1. Arzt und Laie
2. Arzt und Herrscher
3. Der Arzt und sein Kollege
4. Arzt und Apotheker
5. Verantwortlichkeit und Straffälligkeit
Teil IV. Koordinaten und Perspektiven
1. Das griechische Erbe
2. Die Islamisierung der Medizin
3. Der Niedergang der arabischen wissenschaftlichen Medizin
Schlusswort
Es folgen dann noch: English Summaries, Abkürzungsverzeichnis, Literaturverzeichnis sowie I. Liste der in Beirut, Istanbul und Bursa eingesehenen medizinischen arabischen Handschriften; II. Sonstige arabische Quellen; III. Griechische Quellen; IV. Sekundärliteratur; Indices, Personen- und Ortsnamen, Buchtitel, Sachindex, Koranstellen.
Johann Christoph Bürgel Ärztliches Leben und Denken im arabischen Mittelalter, bearbeitet von Fabian Käs, XXXVI,534 Seiten, 1 farbige Abb., geb., Band 135 in der Reihe Islamic History and Civilisation, Studies and Texts, Editorial Board H.Biesterfeldt, S.Günther; BRILL Leiden/Boston 2016, ISBN 978-90-04-32610-1, 168 €, zum gleichen Preis auch als eBook erhältlich.
* Eine erneute Auflistung des Curriculum Vitae unseres Mitglieds Johann Christoph Bürgel erscheint hier entbehrlich; s. dazu die Angaben zu den in der Website beschriebenen Büchern sowie den zu Beginn erwähnten ausführlichen Text in EOTHEN VI, dort auch S. 370.