Dr. Michael Buddeberg, stv. Vorsitzender der Preetorius Stiftung München, hat für deren Website die erste Rezension des sechsten Jahrbuchs der Gesellschaft verfasst; wir übernehmen sie hier mit seiner Zustimmung.
Die Beiträge in EOTHEN – so das Vorwort der Herausgeber – „verfolgen die Spuren der islamischen bzw. orientalischen Kunst, deren Zeugnisse auch in Deutschland und Europa zu finden sind. Darin kommen unterschiedliche Aspekte der Wissenschaftszweige zu Wort, die sich mit dem Islam, seiner Kunst und Kultur beschäftigen; enthalten sind also kunst- und kulturgeschichtliche, philosophische und wissenschaftsgeschichtliche Beiträge“. Um durch diese Vielfalt zu navigieren, dem Leser ein Gerüst zu geben und ihn neugierig zu machen, sind die insgesamt siebzehn Beiträge des jüngsten Bandes hier in eine chronologische Ordnung gebracht. Der Lauf der Zeit, beginnend in der Frühzeit des Islam bis in unsere Tage, zieht sich wie ein roter Faden durch den Sammelband. Und kein einziges Jahrhundert wurde ausgelassen.
Es beginnt mit einem Essay von Tilman Nagel über die Hadith-Sammlung von Al-Buhari (810-870). Hadithe sind niedergeschriebene Botschaften Mohammeds, sogenannte „vollkommene Worte“, die den Gläubigen darüber unterrichten, wie er seinen Lebenslauf und seinen Alltag zu gestalten habe, um den Gegebenheiten des gottbestimmten Seins und Seinsollens gerecht zu werden. Ihre Rezitation und Lesung soll Unheil von den Gläubigen und von der islamischen Welt abwenden und ist vor allem unter den Sunniten verbreitet. Ebenfalls der Frühzeit des Islam, die Autorin Sara Kuehn verortet sie in der Zeit vom 9. bis zum 14. Jahrhundert, ist die Symbolik von Ungeheuern als Träger lebensspendender Macht zuzuordnen. Beispielhaft ist hier das in frühen islamischen Artefakten und in architektonischen Monumenten häufig anzutreffende Motiv gepaarter Drachen, oft in Verbindung mit einer menschlichen Figur oder auch nur einem Gesicht. Sara Kuehn sieht hier die Ikonographie zweier gegensätzlicher Prinzipien, deren symbolische Synthese – die Vereinigung der Macht zu töten und der Macht, Leben zu spenden – starke Kräfte zusammenführt. In das 14. Jahrhundert führen dann gleich zwei Beiträge, deren Gegenstände wenig gemein zu haben scheinen, die aber doch mit Genusssucht und Luxus eine Art gemeinsamen Nenner aufweisen.
Der Essay von Alexander Morar über die arabische Weinpoesie, für die vor allem die Person des Wirtes im Diwan des Hafis steht, behandelt die Vielfalt, Vieldeutigkeit und Interpretation von islamischen Texten über Wein, Wirte, Weinschenken, Weinhändler und über den weithin verbreiteten Genuss des verbotenen Alkohols schlechthin. In eine gänzlich andere Welt, in den Papstpalast im Avigon des 14. Jahrhunderts, versetzt uns Vera-Simone Schulz mit ihren Beobachtungen zu orientalischen Knüpfteppichen in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts. Hier stehen nicht so sehr die Gestaltung und die Muster von Teppichen im Vordergrund, sondern vor allem deren damalige Funktion, ihre Verwobenheit mit Architektur und Zeremoniell und ihre Rolle bei der Manifestation sozialer und politischer Hierarchien. Diesem Blickwinkel und dem überaus reichen Material mag man dann nachsehen, dass auf den viel zu kleinen Abbildungen die ja nur als nebensächlicher Raumdekor gemalten Teppiche kaum mehr zu erkennen sind.
In die glanzvolle Zeit des noch im 15. Jahrhundert geborenen Suleiman des Prächtigen fällt die Blüte des Osmanischen Reichs im 16. Jahrhundert, die auch einen Höhepunkt des Kunsthandwerks markiert. Als ein Beispiel wird von Bernd Augustin eines der seltenen Möbel aus jener Zeit vorgestellt, das die aus dem Kontrast kostbarer und exotischer Materialien herrührende, damals hoch geschätzte Ästhetik wunderbar vor Augen führt, hier mit einer durch die Kombination von Elfenbein und Ebenholz in geometrischer Intarsienarbeit reich verzierte Truhe mit komplizierter Inneneinrichtung mit Kästchen, Laden und Geheimfächern.
Gerhard Fulda untersucht die Herkunft des vor allem auf Iznik-Keramik und kostbaren osmanischen Brokaten des 16. und 17. Jahrhunderts anzutreffenden Motivs des „Saz“-Blattes, das überwiegend als Akanthus-Blatt gedeutet wird und griechischen Ursprungs sein soll. Die windzerzauste Blütenrispe eines Schilfrohres bei Stralsund ist für Fulda Anlass, über ganz andere Vorbilder zu spekulieren, was wegen der aus Schilfrohr geschnittenen Feder für die Anfertigung von Kalligraphien vielleicht gar nicht so abwegig ist, wie es zunächst erscheint. Wohl aus dem 17. Jahrhundert stammt dann ein großes osmanisches Banner, eine Türkenbeute des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel aus der siegreichen Schlacht von Mohacz im Jahre 1688. Sie war seit „Menschengedenken“ ein vielbeachtetes Ausstattungsobjekt in der Frauenkirche in München, bevor sie in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts an das Bayerische Armeemuseum zur Restaurierung überwiesen wurde, „wo sich ihre Spur verliert“. Dass Marcus Pilz die komplizierte Ikonographie dieser wohl im 2. Weltkrieg verbrannten Türkenfahne untersuchen konnte, verdankt er einer großformatigen Lithografie, die 1839 in München erschien.
Ibrahim Muhawis Reflexionen über literarisches Übersetzen aus dem Arabischen sind zwar zeitlos, haben aber als Aufhänger die erste Übersetzung der Geschichten aus Tausendundeine Nacht von Antoine Galland, womit wir im 18. Jahrhundert angekommen sind. Ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert ist eine großformatige indische Weltkarte in den Berliner Museen. Elke Niewöhner beschreibt an dieser, für ihre Zeit sehr altertümlich anmutenden und wohl eher für dekorative Zwecke hergestellten Karte, dass der Einfluss der islamischen mathematischen Geographie auf abendländische Geographen und Kartenhersteller wohl ungleich größer war als bisher angenommen.
Ein reich illustrierter Beitrag von Anke Scharrahs zeigt im Detail, welche architektonischen Schätze in der Altstadt von Damaskus von den kriegerischen Wirren unserer Zeit bedroht sind. Einige hundert Damaszener Wohnhäuser des 17. bis 19. Jahrhunderts bewahren bis heute, verborgen in ihrem Inneren, wertvolle Mosaikböden, polychrome Holzausstattungen, farbig gefasste Meisterwerke aus Gips und vieles andere mehr. Das späte 19. Jahrhundert führt zurück zu den Osmanen, die mit großer Verspätung dem Vorbild europäischer Fürsten folgten und eine Porzellanmanufaktur in Istanbul gründeten. Dort wurde von 1887 bis 1909 das so genannte Yildiz-Porzellan hergestellt, vornehmlich großformatige Repräsentationsobjekte, die heute noch im Dolmabahce-Palast in Istanbul zu sehen sind. Aber auch ein Teller mit Zwiebelmuster, fand Deniz Erduman-Çalis heraus, kommt aus dieser Quelle, eine getreue Kopie des Meissener Vorbilds, hier allerdings mit Halbmond und Stern anstelle der Schwertermarke. Etwa zur gleichen Zeit ließ König Maximilian II. von dem Architekten Friedrich Bürklin das Maximilianeum in München errichten, ein Monument des Historismus und mit dem großen Wandbild des „Einzugs von Muhamed in Mekka“ von Andreas Müller auch ein Zeugnis für ein Weltbild, das die islamische Religion und Kultur als eine für den Fortschritt der Menschheit wesentliche Kultur ansah (Gabriele Siegmund-Mairinger).
So ist es auch kein Wunder, dass bescheidene Anfänge des Faches Turkologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität noch in das 19. Jahrhundert datieren. Die entscheidenden Schritte aber liegen nach dem Beitrag von Klaus Kreiser im 20. Jahrhundert, im Jahr 1912 mit dem Beginn osmanisch-türkischer Studien, vor allem aber 1948 mit der Übernahme des neu geschaffenen Lehrstuhls für Geschichte und Kultur des Nahen Ostens sowie Turkologie durch Franz Babinger. Mit einem Essay über Gemeinsamkeiten moderner christlicher, jüdischer und islamischer Architektur in Bayern – behandelt werden die Moschee in Penzberg, die Synagoge Ohel Jakob und die Herz-Jesu-Kirche in München – ist Emma Mages in der Gegenwart angekommen und der Bericht von Güven Günaltay über ein am Islamischen Museum in Berlin erfolgreich betriebenes pädagogisches Projekt zur Vermittlung islamischer Kunst und Kultur weist gar in die Zukunft.
Bleiben zuguterletzt zwei Beiträge, die sich einer Einordnung in das Zeitschema entziehen. Jerusalem ist wie Rom eine „ewige Stadt“ und Heribert Busses Beitrag über das Islamische Jerusalem, über eine Stadt, die Sicherheit und Schutz vor dem Bösen gewähren soll, verweist auf die emotionale Bindung der Muslime an ihre Heilige Stadt, die in der heutigen politischen Diskussion über die Zukunft der Region allzu oft vernachlässigt wird. Ebenso zeitlos sind die autobiographischen Skizzen von Johann Christoph Bürgel. Als Chronist und Übersetzer islamischer Literatur und Poesie von ihren Anfängen bis in die Neuzeit hat Bürgel ein halbes Jahrhundert und länger „die Spuren östlicher Weisheit“ verfolgt und dabei selbst markante Spuren gesetzt. Seine Skizzen bescheren einen zugleich intimen und spannenden Blick in ein reiches Leben im innersten Kreis der Islamwissenschaft.
Wie gewohnt bietet EOTHEN Wissensvermittlung und Lesevergnügen auf höchsten Niveau.
Werner Joseph Pich, Max Leonhard (Hrsg), EOTHEN VI – Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur, Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur und Kunstverlag Josef Fink, München und Lindenberg im Allgäu 2015, 373 Seiten, 220 überwiegend farbige Abb., Klappenbroschur, ISBN 978-3-89870-930-9, € 25,00 (für Mitglieder 20 €),
Anmerkung der Redaktion: Die Gesellschaft erhielt zweimal ein schönes Feedback zum Buch:
- Ein langjähriges Mitglied, der beim Verkauf seiner Sammlung Turkmenischen Schmucks einen guten Preis erzielte, überwies uns mit Gruß und Dank für EOTHEN VI einen sehr erfreulichen Anteil am erzielten Kaufpreis als Spende für die nächste Ausgabe.
- Prof. Dr. Ibrahim Muhawi, Eugen (OR), einer unserer Allianz Gastprofessoren und Autor in EOTHEN VI, schrieb uns im Mai 2015 folgendes:
I have not had a chance to write and let you know how much I liked Eothen VI, even though I could not read it easily. I liked the breadth of the material, and the depth in which it was treated. I also liked all the pictures. Thank you very much. I’m proud to be published in such a high-class journal“.