In den letzten rd. 15 Jahren wurden in München und der Region drei interessante Sakralbauten der großen monotheistischen Religionen errichtet, denen die Autorin ihre höchst bemerkenswerte Arbeit widmet.
Es sind dies die Moschee der Islamischen Gemeinde Penzberg (2005), die Synagoge Ohel Jakob auf dem St. Jakobs Platz im Zentrum Münchens (2007) und die Kirche Herz Jesu in München Neuhausen (2000).
Emma Mages geht es nicht primär um die Architekturformen dieser Bauten. Sie findet dort mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, was vornehmlich den gleichartigen kubischen Formen, aber auch Materialähnlichkeiten geschuldet ist. In der zeitgenössischen Sakralarchitektur verlöre das „kanonische Formenrepertoire von Kirche, Moschee und Synagoge“ an Bedeutung. Das trifft zweifellos hier zu, und gilt wohl auch für die Synagogen in Dresden und Mainz, oder die katholische Kirche St. Nikolaus in Neuried von Andreas Meck. Ein berühmtes frühes Beispiel ist die puristische Fronleichnamskirche in Aachen von Rudolf Schwarz aus dem Jahr 1930. Im islamischen Bereich überwog in Deutschland bisher das osmanische Vorbild, unmittelbar z.B. für die Moschee in Duisburg und indirekt auch noch für die Moschee von Paul Böhm in Köln.
Das eigentliche Thema der Autorin ist die Schrift an den drei Bauten. Anhand einer unerwarteten Fundstelle, Victor Hugos Notre-Dame de Paris (1831) untersucht sie zunächst, ob man Architektur selbst – wie Hugo meint – als „Schrift, die über ein bestimmtes Alphabet verfügt“ begreifen kann, kommt dann aber rasch zu der Feststellung, dass Architektur viel eher als Schriftträger angesehen werden kann – bzw. muss, wenn die traditionellen Erkennungsmerkmale für Moschee, Synagoge und Kirche weggefallen sind.
Dabei muss man nicht soweit denken wie der amerikanische Architekt Robert Venturi (geb. 1925), der in „Learning from Las Vegas“ (1972) für die Gestaltung von Monumenten vorschlug: „Keine große symbolische Form, sondern eine Kiste, die mit einem Reklamezeichen auf sich verweist“.
Natürlich dachten die hier präsenten Architekten Alen Jasarevic, Augsburg (Moschee), Wandel Hoefer Lorch, Saarbrücken (Synagoge) – die übrigens die Dresdner Synagoge entwarfen – und Allmann Sattler Wappner, München (Kirche) weit differenzierter: Die Schrift an und in ihren Bauten ist von besonderer Delikatesse und wird durchaus unterschiedlich eingesetzt. Gemeinsam ist allen drei Bauten, dass der Charakter des Gebäudes in der Portalsituation offenkundig wird.
Das hat im Bereich christlicher Sakralbauten eine uralte Tradition, wobei zunächst die Schrift durch das Bild ersetzt werden musste. Berühmte Beispiele sind etwa die Holztüre von St. Maria im Kapitol (Mitte 11. Jh.), die die Heilsgeschichte des Neuen Testaments erzählt. Die Portale des Baptisteriums in Florenz vermischen Geschichten aus dem Neuen Testament mit allegorischen Bildern (14. und 15. Jh.). Das geheimnisvolle „Schottentor“, das Portalbildwerk der St. Jacobskirche in Regensburg (Ende 12. Jh.), muss man wohl als einen allegorischen Kosmos mit dem Grundgedanken „Himmel und Erde müssen vergehen“ deuten. Diese Eingangssituation hat kaum einladenden Charakter.
Ganz anders der Eingang der Moschee in Penzberg, der in Gestalt eines riesigen geöffneten Buches, links deutsch, rechts arabisch, zentrale Verse des Korans wiedergibt, die jeder, der an Gott glaubt, aus voller Überzeugung sprechen kann; sie öffnen so das Haus für jeden Glaubenden.
Der zweite äußerlich machtvoll sichtbare Text verbirgt sich in der dreifach gestuften, in Stahlplatten geschnittenen Kalligraphie, aus der das Minarett besteht. Es ist der unhörbare Aufruf zum Gebet, den sonst der Muezzin fünfmal am Tage in die Welt ruft. Eine weitere außen sichtbare Schrift befindet sich in der Laibung der gläsernen Qiblafassade, die in voller Raumhöhe und -breite die Moschee abschließt. Die Autorin untersucht in vielen Einzelschritten alle weiteren im Gebäude vorkommenden Schriften, von der Stiftertafel im Eingangsbereich, Schriften in Form der osmanischen Tughra im Foyer und Gebetsraum, die in der Decke fast unsichtbaren 99 Namen Allahs sowie den in Formung und Material dem Minarett verwandten Mihrab (s. Titelbild). Stets sind die quasi mit einem Skalpell untersuchten Schriften präzise und allgemein verständlich beschrieben. Exkurse, die in ihrer Bedeutung über die Besonderheiten der Moschee in Penzberg hinausgehen, befassen sich mit Schrift als Text, Schrift als Bild, Schrift als Textur oder Ornament, Schrift und Raum, Schrift und Licht und schließlich Schrift als Symbol.
Dass sich etwa siebzig Prozent des Buchtextes mit der Moschee in Penzberg beschäftigen, liegt einmal daran, dass sich dort die ganz überwiegende Menge an Schriftzeugnissen befindet, zum andere erklärt sich der Umfang dadurch, dass dem Buch eine Magisterarbeit bei Professor Avinoam Shalem zugrundeliegt, der an der LMU München Islamische Kunstgeschichte lehrt.
Schrift an und in der Synagoge am St. Jakobsplatz beginnt ebenfalls am Portal. Empfindet man bereits den ganzen Bau wegen seines „festungsartigen“ Sockels aus Bruchsteinen, die die Jerusalemer Klagemauer versinnbildlichen, als ein wenig abweisend, hilft einem das Portal mit 10 Buchstaben des hebräischen Alphabets – die stellvertretend für die 10 Gebote stehen – nicht weiter. Selbst wenn – selten genug – die großen Bronzetüren geöffnet werden, bleiben die innen befindlichen Anfangsworte dieser Gebote in hebräischer Sprache ebenfalls für den der Schrift Unkundigen unverständlich. Auch sämtliche Zitate aus der Thora im Inneren des Bauwerks sind nur für hebräischkundige Gemeindemitglieder lesbar.
Eine wichtige und wohl einzigartige Ausnahme, die aber keine liturgische Bedeutung hat, findet sich im 32 Meter langen unterirdischen Verbindungsgang zwischen dem Gemeindezentrum und dem Sakralraum: Der Gang des Erinnerns. In einem 1,2 Meter hohen Band aus hinterleuchtetem Opakglas aus sechs Lagen sind 4500 Namen ermordeter Münchner Juden verzeichnet. Auf der gegenüberliegenden Wand sind auf glatter Fläche wichtige Begriffe zum Thema Holocaust „eingebrannt“, die sich vom Erinnern, über Trauern, den Namen von Konzentrationslagern, bis zu den Begriffen Leben, Versöhnen und ähnlich positiv besetzten Worten fortsetzen. Hier wird, so versteht es die Autorin, am Rande deutlich, welche Bedeutung die Schrift im Judentum aufgrund der Shoa für die Erinnerung wie auch als Zeichen gegen das Vergessen hat.
Versteht man allgemein Schrift als ein Mittel zur Kommunikation und zur Aufzeichnung von Information, so werden diese Kriterien in der Fassade der Herz-Jesu-Kirche geradezu auf den Kopf gestellt. In den 14 Meter hohen Portalen aus Glas verbergen sich Texte aus der Passion Christi in einer „Nagelschrift“, die ein britischer Künstler in Erinnerung an altorientalische Keilschrift für dieses Bauwerk entworfen hat. Im Buch der Autorin befindet sich zwar eine Übersetzungstabelle, doch wird niemand versuchen, den Text damit zu entziffern. Der Künstler meint dazu, es genüge, wenn die Texte vorhanden sind. Was man jedoch wissen sollte ist, dass das gesamte ikonographische Programm der Kirche um das durchbohrte Herz Jesu und die Passion kreist. Dazu gehören die Nägel in der Fassade, die im Kirchenraum in einer Installation der Wundmale Christi wiederkehren. Das Kreuz selbst ist übrigens in den Scheiben der Fassade durch freie Flächen angedeutet. „Die einzelnen Elemente verschmelzen zu einem vielschichtigen Kunstwerk mit einer Geschichte, die nicht auf einen Blick erfasst werden kann. Das enthaltene Geheimnis erschließt sich dem Betrachter erst nach und nach. Durch die Verquickung von Schrift- und Bildzeichen ergibt sich eine Botschaft, die trotz der Verschlüsselung lesbar ist“.
Letztendlich im Portal der Herz-Jesu-Kirche erklärt sich aus der abnehmenden Textmenge und -Verständlichkeit die Reihenfolge, in der Emma Mages die drei Bauwerke vorstellt.
In einem „Quellen- und Literaturverzeichnis“ dokumentiert die Autorin penibel ihr Quellenstudium, wozu Plan- und Entwurfsmaterialien von Architekten, Interviews, auch mit dem britischen Schriftkünstler, ebenso gehören, wie die benutzte Literatur. Im folgenden Abbildungsteil finden sich 74 überwiegend farbige Fotos und Zeichnungen.
Diese Beschreibung des faszinierenden Buches von Emma Mages vermag es nicht, alle subtilen Gedanken der Autorin anzusprechen oder im einzelnen darzustellen. Sie umkreisen die Schrift als solche und ihre Bedeutung im Kontext mit Architektur im Allgemeinen, und im Besonderen die Schriften in den drei beschriebenen Bauwerken. Immer wieder ergeben sich überraschende Erkenntnisse, die dem Leser als Früchte sorgfältiger Recherche und intensiver Auswertung aller erreichbaren Quellen „in den Schoß fallen“. Das Buch ist auch ohne konkreten Bezug zu den Bauwerken eine wahre Fundgrube. Als Führer zu den Bauten ist es jedoch unentbehrlich – will man am essentiellen Bestandteil dieser Architekturen, den vorhandenen Schriften, nicht achtlos vorbeigehen.
Emma Mages M.A. studierte in München Architektur, Kunstgeschichte, Romanistik und Arabisch; sie arbeitet z.Zt. als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der IT-Gruppe Geisteswissenschaften der LMU München.
Emma Mages Schrift in der zeitgenössischen Sakralarchitektur. Die Moschee in Penzberg im Vergleich mit der Synagoge Ohel Jakob und der Herz-Jesu-Kirche in München. München Herbert Utz Verlag 2013, 151 Seiten, 75 meist farbige Abbildungen, 8° broschiert, ISBN 978-3-8316-4208-3, 34 €
Eine zusammenfassende Darstellung der Arbeit erschien jetzt in EOTHEN VI (s. Publikationen)