Nicht der historische Roman von Alexandre Dumas mit diesem Titel (1850) ist hier anzuzeigen, sondern ein sehr persönliches Buch über eine Wallfahrt nach Mekka ¹. Autor ist der Allianz Gastprofessor für Islamische Studien, Enes Karic, der in den beiden vergangenen Semestern Vorlesungen über den Koran an der Ludwig-Maximilians-Universität München gehalten hat. Im Jahr 2007 machte er sich mit seiner Frau AjÜa und einer Gruppe von Freunden aus seiner Heimat Sarajevo auf den Weg zu den Heiligen Stätten des Islam. Es war nicht seine erste Reise nach Mekka und Medina – mehrere Umra (Pilgerreisen mit verkürztem Programm) gingen voraus – aber es war die erste Hadsch, die Erfüllung eine der fünf Pflichten des gläubigen Muslim. Und für Karic ein tiefgehendes spirituelles Erlebnis.
Die Pilgerfahrt nach Mekka hat bekanntlich eine lange – auch vorislamische – Geschichte. Doch ausführliche Berichte darüber gibt es erst seit dem 11. Jahrhundert ². Manche dieser Texte mit einer Fülle historischer Daten und praktischer Hinweise lassen sich auch als Reiseführer und Ermunterung für potentielle Pilger verstehen. Einer der frühen Berichterstatter war ein Poet aus Balkh, im heutigen Afghanistan, Nasir-i Khusraw, der seine erste Pilgerfahrt 1047 im Anschluss an seine religiöse Bekehrung unternahm. Viele folgten; einer der berühmten Reisenden aus neuerer Zeit hieß Muhammad Asad ³a, ein Korrespondent berühmter europäischer Blätter, der 1926 zum Islam übertrat, lange Jahre im Nahen Osten lebte, Freund und Vertrauter Königs Ibn Sauds und der erste Vertreter Pakistans in den Vereinten Nationen wurde.
Karic, der aus einer strengreligiösen Familie stammt – worauf er sich immer wieder zurück besinnt -, schrieb weder ein Sachbuch über den Hadsch, noch bietet er Einblicke in die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit Saudi Arabiens. Doch wünscht er sich angesichts der bewundernswerten Moschee in Medina, „dass Muslime auch in anderen Lebensbereichen bewundernswert werden“, was er nicht in allen ihren Gesellschaftssystem erkennen kann. Er gibt in seinem Essay viel innerliche Befindlichkeit preis und schildert überraschende Beobachtungen, die er in der „pulsierenden unendlichen Menschenmenge“ der Pilger aus aller Herren Länder macht. So etwa, wenn er über die Beschaffenheit ihrer Füße sinniert, woraus er auf den Alltag der Gläubigen in ihren Heimatländern schließt. Erinnerungen an van Gogh und Heidegger werden dabei unvermittelt wach. Zudem stellt er fest, „es gibt sie nicht, zwei völlig gleiche menschliche Gesichter – die „offenen Blüten des Islam“. Wie sei es dann möglich, „diese abertausende von Gesichtern zu betrachten und dabei in typisierenden Bildern, typisierenden Verallgemeinerungen zu denken?“. Karic sieht die Tränen der Rührung über die letztlich unfassbare kollektive Ergriffenheit seiner Pilgerbrüder und -schwestern. Er beobachtet ihre Kleidung, das Verhalten der anderen Pilger, ihre gegenseitige Zuneigung und bekennt immer wieder sein Erstaunen darüber, wie das archaische Massenereignis einerseits, und moderne Organisation und Technik („die Verse des Koran aus einem Mobiltelefon der Marke Nokia“) andererseits, zum Lobe Allahs zusammenklingen können.
Man folgt dem Autor zu den verschiedenen Stationen, die der Pilger in mehreren Tagen besucht, erlebt dort die vorgeschriebenen Riten, die die „Menschengalaxien“ vollziehen, aber erfährt auch von den vielen persönlichen Begegnungen, die ihm unendlich wichtig sind. Eindrucksvolle Beschreibungen der Bergwelt rund um den Arafat wechseln mit Assoziationen aus der Sternenwelt – die Sprache des Hadschi Karic kennt kaum Grenzen.
Die „Reisenotizen eines bosnischen Mekkapilgers“ sind im besten Sinne ein Unicum. Das Buch erschien ursprünglich in einer bosnischen islamischen Zeitung und wurde von eine Bosnierin wohl ziemlich wörtlich ins Deutsche übersetzt (es gibt zudem eine Fassung in Englischer Sprache). Die zurückhaltende, gleichwohl informative Schwarz-Weiß-Illustration stammt teilweise von einer Assistentin an der Fakultät für Islamwissenschaften der Universität Sarajevo, wo Karic lehrt. Die Fotos unterscheiden sich von den eher spektakulären der wenigen Bildbände zum Thema, etwa dem ebenfalls von Muslimen gestalteten Großformat „Pilgerfahrt nach Mekka“ ³b. Besonders hervorzuheben ist die Gestaltung des Buches durch Sead Muji, der schon mehreren Bänden der exclusiven EDITION AVICENNA von Helene Saal in München eine individuelle Prägung verliehen hat. Zu erwähnen ist schließlich noch die Herkunft des Buchtitels, der auch den Schmuck des Titelblatts erklärt: Karic benennt das schwarze Tuch aus kalligraphie-geschmückter Seide, das jedes Jahr neu die Kaaba verhüllt, nach der Blume, die im Roman von Dumas eine zentrale Rolle spielt. (WJP)
¹ Enes Karic Die SCHWARZE TULPE. Reisenotizen eines bosnischen Mekkapilgers, München 2009, 143 S., zahlreiche s/w Fotos, kartoniert, ISBN 978-3-941943-00-4, 12,90 Euro.² Suraiya Faroqhi Herrscher über Mekka. Die Geschichte der Pilgerfahrt, München/Zürich 1990. ³a Muhammad Asad Der Weg nach Mekka, Berlin/Frankfurt am Main 1955; ³b M.Arkoun, E.Ezzedine, A.Frikha Pilgerfahrt nach Mekka, Zürich 1977.