Pünktlich erschien im Februar 2016 das von C.H.Beck schon vor Monaten angekündigte Buch, das den Freunden der Erzählungen aus Tausend und einer Nacht endlich das authentische Ende des gesamten Werkes beschert.
Dazu zunächst die Info des Verlages:
In einer kleinen Bibliothek in Zentralanatolien, die vor 250 Jahren ein Sammler alter Handschriften erbaute, liegt – versteckt in einem falsch beschrifteten Schuber – ein uraltes Manuskript des Endes von „Tausendundeine Nacht“. Diese sensationelle Entdeckung macht Claudia Ott mit ihrer Übersetzung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich.
Über das Ende der Rahmenerzählung von der klugen Schahrasad, die durch ihre Geschichten König Schahriyar davon abhält, sie zu töten, war bisher so gut wie nichts bekannt. Die vollständigen arabischen Manuskripte, die erst im 19. Jahrhundert unter europäischem Einfluss entstanden sind, blenden die Rahmenerzählung fast völlig aus. Erstmals werden nun die letzten 125 Nächte des Zyklus sowie der ausführliche Schluss in einer arabischen Fassung zugänglich, die viele Jahrhunderte älter ist.
Claudia Ott versteht es meisterhaft, die Unmittelbarkeit und Frische des arabischen Originals zu vermitteln. Frei von allen europäischen Übermalungen und Ausschmückungen entführt sie den Leser in eine zauberhafte Welt der Paläste und Basare, der weisen Wesire und verschlagenen Händler, eine Welt voller erotischer Abenteuer und böser Streiche. „Ach, Schwester“, seufzte Dunyasad, „wie köstlich ist deine Geschichte und wie schön und süß und angenehm!“
Vorweg: Es ist wieder ein wunderbares Buch geworden, dessen Äußeres (Ganzleinen, Schutzumschlag und Lesebändchen) seinem wertvollen Inhalt entspricht. Wieder verzieren Vignetten Beginn und Ende der Nachterzählungen. Der Kairoer Kalligraph Mustafa Emary, der bereits den ersten Band schmückte, schrieb sieben Kalligraphien mit Texten aus der dem Buch zugrunde liegenden Handschrift, die u.a. das Bild eines Kamels ergeben.
- Die Erzählungen der Nächte von achthundertachtzig bis tausendundeins sind in drei Zyklen zusammengefaßt: Von Tieren und Menschen, Die Geschichte von König Schadbacht, Sultan Baybars und die sechszehn Offiziere gefolgt von Das Glückliche Ende mit dem Untertitel Das Lustschlößchen. Während im ersten Zyklus keine Besonderheiten gegenüber „gewöhnlichen“ Nachterzählungen auftreten, „blitzten“, wie Claudia Ott in ihrem sehr ausführlichen Nachwort erläutert, bereits in Erzählungen im zweiten Zyklus „hier und dort Reflexionen auf die Erzählsituation“ beim König auf, die sich in der Endphase zum vollständigen Sinneswandel steigern und so zum glücklichen Ende führen. „Die wenigsten arabischen Originalhandschriften enthalten das Ende der Geschichte von Tausendundeiner Nacht, was vor allem daran liegt, dass sie nur Fragmente des Gesamtwerkes enthalten“. In so manchen Übersetzungen in europäische Sprachen, haben die Autoren selbst „Endfassungen“ zusammengestellt. Während z.B. in der Übersetzung von Littmann – hier authentisch aus der Calcuttaer Ausgabe – nur auf etwa zwei Seiten das Ende dargestellt wird, erfährt der Leser im vorliegenden Werk auf mehr als zwanzig Seiten z.B. nicht nur von Schahrasads Schwangerschaften, sondern auch von der prächtigen Doppelhochzeit der Schwestern oder Schahrasads Rede über das weibliche Geschlecht zum Durchhalten, zu der sie von ihrer jüngeren Schwester ermuntert wird. „Noch wichtiger ist, dass in diesem Zusammenhang König Schahriyars Sinneswandel ausführlich dargestellt wird. Das „glückliche Ende“ eröffnet eine psychologische Dimension, die in keiner anderen Fassung von Tausendundeiner Nacht aufscheint. … Der Sultan denkt über Schahrasads Geschichten nach, vergleicht sie mit seiner eigenen Lebenserfahrung und zieht daraus Schlüsse für die konkrete Situation.“
Man wird in Zukunft das Ende der meisten „Arabian Nights“ anders lesen müssen, wenn man hier das wirkliche Ende kennen gelernt hat. Wenn z.B. Nagib Machfus in seinem Buch „Die Nacht der tausend Nächte“ (Zürich, 1982) das weitere Schicksal der Heldin überbordend phantasievoll weiterverfolgt, wird man nun seine Version in einer ferneren Märchenwelt verorten müssen. - Die von Ott im Nachwort in Wort und Bild (14 s/w-Fotos und Karte) dargestellte Geschichte der Handschrift und ihrer Bearbeitung ist ebenso spannend wie der eigentliche Text. Wie das Manuskript in den frühen dreißiger Jahren vom deutschen Orientalisten Hellmut Ritter (1892 -1971; von 1926 bis 1949 in Istanbul lebend und arbeitend) bei Katalogisierungsarbeiten in der 1796 gegründeten Rasit Efendi-Bibliothek in Kayseri in die Hand genommen, von ihm auf Mikrofilm kopiert, 1949 in seiner Zeitschrift ORIENS beschrieben und schließlich digitalisiert wurde. Claudia Ott übersetzte zwar vom Digitalisat, fand jedoch die Handschrift 2015 an Ort und Stelle unter dem Namen „Abhandlung über die Tücke der Weiber“ in einer total chaotischen Abfolge von 152 zusammengebundenen Blättern aus hellbraunem glänzenden Papier in einem falsch beschrifteten Schuber. In ihrem Nachwort sind alle Begleitumstände und natürlich das Manuscript selbst, seine Quellen und Datierung (um 1500), die Eigenarten seiner Schreibweise ausführlich protokolliert. Man erlebt unmittelbar die Mühen des Übersetzens, das Ausmerzen von Fehlern und die wiederholte Kontrolle der Ergebnisse sowie weitere Einzelschritte, die hier nicht alle aufgezählt werden können.
Über die Bedeutung der vielen im Text vorkommenden „Fremdwörter“ gibt ein ausführliches Glossar Auskunft. - Sehr verdienstvoll ist ihr Kapitel „Zur Geschichte der arabischen Tausendundeine Nacht“, das in gebotener Kürze den heutigen Stand der Erkenntnisse zu diesem seit alters her umstrittenen Thema bietet. Vergleicht man diesen Abschnitt z.B. mit den Mutmaßungen, die Max Henning 1897 im Schlußwort seiner „Übersetzung aus dem Arabischen“ mitgab, wird der große Fortschritt deutlich, den seitdem die Auffindung weiterer Handschriften und verfeinerte Untersuchungsmethoden ermöglicht haben. Zum editorischen Umfeld der Übersetzungen von Claudia Ott mögen die folgenden Notizen nützlich sein.
♦ Ihr erstes, nun bereits in elfter Auflage vorliegendes, Buch entstand auf der Basis folgender Edition: Mushin Mahdi, 1984, Leiden Brill, The Thousand and One Nights (Alf Layla wa-Layla) from the Earliest Known Sources. Arabic Text with Introduction and Notes. Part 1: Arabic Text. Part 2: Critical Apparatus, Description of manuscripts, ISBN 978-9004256491, 2 Bände ab ca. 150 €.
Mahdi publizierte (mit einigen Ergänzungen) die dreibändige Handschrift der Bibliothèque nationale Paris (wohl) aus der zweiten Hälfte des 15. Jh.; diese Handschrift lag auch Galland vor.
♦ Mushin Mahdi, 1995, Leiden Brill, The Thousand and One Nights. Part 3: (Preface and Introduction)
– Chapter I Antoine Galland and the Nights
– Chapter II Galland’s Successors
– Chapter III Four Editions: 1814-1843
– Three Interpretations
– Notes on Reference Style
ISBN: 90-04-10204-3, ca. 85 €
● Claudia Ott, 2011 (elfte Auflage!), C.H.Beck München, Tausendundeine Nacht. Nach der ältesten arabischen Handschrift in der Ausgabe von Mushin Mahdi erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott, 637 S. + ca. 30 S. Anhang, Leinen, ISBN 3-406-51680-1, 29,90 €.
Das Buch enthält die auf Veranlassung von Ott von einem Kalligraphen in Kairo eigens für diese Ausgabe gestalteten und von der Gesellschaft erworbenen arabischen Titel und Kapitelüberschriften. C. H. Beck brachte das Buch 2004 aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der ersten Übersetzung der Erzählungen in eine europäische Sprache durch Galland heraus. Die Anfang des 18. Jh. von Galland benutzte Handschrift – die fortan seinen Namen trug und von Mahdi 1984 publiziert wurde – übersetzte Ott ohne die von dem in Harvard lehrenden Arabisten hinzugefügten Ergänzungen; sie beschränkte sich auf den nur 282 Nächte umfassenden Originaltext.
Aufsehen erregte auch ihre Entdeckung und Übersetzung des ältesten arabischen Manuskripts der – auch „Kleine Schwester von 1001 Nacht“ genannten – 101 Nächte:
● Claudia Ott, 2012, Manesse Zürich, 101 Nacht. Aus dem Arabischen ins Deutsche übertragen und umfassend kommentiert von Claudia Ott. Nach der andalusischen Handschrift des Aga Khan Museums, 239 S. + 88 S. Nachwort, ISBN 978-3-7175-2356-7
Bibliophile Ausgabe mit Samtüberzug, Goldfolienprägung und Schmuckfarbdruck, 49,94 €; als Sonderausgabe im Pappband 29,95 €.
Die zugrundeliegende Handschrift (MS Aga Khan AKM 00513, Teil 2) hat 39 Blatt Papier und enthält den Anfang bis Nacht 85 der Geschichten; sie ist datiert 622 HR/1234-35 n.Chr.
Wer sich über die umfangreichen Ausführung von Claudia Ott hinaus näher mit den Erzählungen beschäftigen möchte, dem sei aus der Menge der einschlägigen Bücher folgende Literatur empfohlen:
♦ Robert Irwin, 1997, Insel Verlag Frankfurt, Die Welt von Tausendundeiner Nacht. Aus dem Englischen übersetzt und für den deutschen Leser ergänzt von Wiebke Walter (die selbst eine ausgewiesene Kennerin der Materie ist), 464 S., geb., ISBN 978-3-4581, 28,99 €; TB 12,99 €.
♦ Ulrich Marzolph und Richard van Leeuwen, 2004, ABC-CLIO Santa Barbara, The Arabian Nights Encyclopedia, 2 Bände in englischer Sprache, 921 S., ISBN 1-57607-204-5, ab 49,27 $
Im ersten Teil von Band 1 findet man 14 einführende Aufsätze international bekannter Autoren zu Einzelthemen, wie z.B. Literarischer Stil, Motive, Poesie, Manuscript Tradition, Film, Illustrationen, Homosexualität, 1001 Nacht und die Juden, u.a.
Im zweiten Teil des ersten Bandes gibt es Inhaltsangaben zu allen Erzählungen.
Der zweite Band enthält unter ca. 230 Stichwörtern Beiträge zu Namen und Begriffen.
♦ Kürzere, aber sehr lohnende, Einführungen bieten
– Wiebke Walter, 1987, Artemis München/Zürich, Tausendundeine Nacht, 174 S., ISBN 3-7608-13331-3 (antiquarisch noch erhältlich > bei amazon ab ca. 15 €)
– Heinz und Sophia Grotzfeld, 1984, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, 143 S., ISBN 3-534-08427-6 (2. von den Verfassern aktualisierte Auflage 2012 beim Verlag für Orientkunde, Dortmund, 148 S., ISBN 978-3-936687-41-5, 59 €)
♦ Unverändert wichtig – und vor allem für den Sammler unentbehrlich – sind die drei Bände der Bibliographie des Ouvrages Arabes ou Relatif aux Arabes dans L’Europe Chrétienne de 1810 a 1885 von Victor Chauvin, wo in den Bänden IV bis VII des in den Jahren 1892 bis 1922 erschienenen Gesamtwerkes (Lüttich, zuletzt Harrassowitz Leipzig), alle im 19. Jahrhundert bekannten Manuskripte, die bis 1900 erschienenen Textausgaben und Übersetzungen sowie die Secundärliteratur bibliographisch erfasst sind.
♦ Nicht zuletzt sei auf den Beitrag von Ibrahim Muhawi, unserem Allianz Gastprofessor (WS 2004/2005 und SS 2005) hingewiesen, der in einem Beitrag in EOTHEN VI, S. 125 f., u.a. die Übersetzungen der Erzählungen von Galland und Burton miteinander vergleicht.
– Ibrahim Muhawi, 2015, Kunstverlag Josef Fink Lindenberg i. Allgäu, Das Andere im Text – Reflexionen über Literarisches Übersetzen aus dem Arabischen (EOTHEN VI), IS978-3-89870-930-9,
Claudia Ott, 2016, C. H. Beck München, Tausendundeine Nacht. Das glückliche Ende. Nach der Handschrift der Raşit-Efendi-Bibliothek Kayseri erstmals ins Deutsche übersetzt von Claudia Ott (Neue Orientalische Bibliothek), 428 S., Leinen, ISBN 978-3-406-68826-3, 24,95 €