Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen
Der Titel eines Buches, zu dem der Autor in einem kurzen Statement im Anhang anmerkt, dass die meisten darunter wohl den Aufbruch der arabischen Völker in die Selbstbestimmung verstehen werden. Das auch – aber angesichts ständig hin und her brandender Islamkritik und Kritikkritiker, mit Weisheiten selbsternannter Islamfachleute im Ohr, kurzatmigen Verschwörungstheorien ausgeliefert und anderer Aufgeregtheiten in Medien aller Art, tut es gut, sich mit Gedanken zu beschäftigen, die Stefan Weidner in den letzten 12 Jahren in der seriösen Presse darlegte. Er hat sie nun in diesem Buch zusammengestellt.
Von den Nachwehen von 9/11 bis Anders Breivik reicht das Spektrum. Das ganz aktuelle hat den gleichen Stellenwert wie etwa Gedanken zu Koranübersetzungen oder der Übersetzbarkeit orientalischer Literatur überhaupt. Vernunft ist Weidners „Leitplanke“ und „der Fluchtpunkt einer jeden Auseinandersetzung mit uns selbst und (den) anderen insofern, als diese Auseinandersetzung sich an ihr – der Vernunft – messen lassen muss. Wer dagegen glaubt, er sei der Vernunft schon ausreichend teilhaftig, ist mit dem Denken fertig bevor er überhaupt angefangen hat. Er steht damit der Vernunft so fern wie die, die sich gar nicht erst auf sie berufen“. Ein für Weidner typischer Satz, ein Stil, der den Leser gefangen hält, nicht zuletzt, um immer wieder kurz inne zu halten und auch über den Autor nachzudenken. In 5 Hauptkapiteln findet man über 30 Artikel aus Cicero, FAZ, Fikrun wa Fann, Merkur, NZZ, aus einigen anderen Medien sowie Reflexionen über Reisen in den Orient.
Ein Lesebuch im besten Sinne, das keine bestimmte Reihenfolge verlangt, aber immer wieder mit neuen Gedanken und Sichtweisen überrascht; man sollte es gelesen haben! Weidner ist zwar einerseits ein wenig der Nachfolger von Annemarie Schimmel, nämlich seit 2001 als Chefredakteur von Fikrun wa Fann oder Art&Thought, der im 50. Jahr erscheinenden – bald 100 Nummern zählende – Zeitschrift des Goethe-Instituts, doch andererseits ihr genaues Gegenteil, hat sich doch Annemarie Schimmel niemals in aktuelle Politik vertieft. Der Aufbruch in die Vernunft ist ein Mosaik – wie Art&Thought (es gibt als dritte Version übrigens noch eine persische); beide geben verständlich und überzeugend aus unterschiedlichen Quellen einem übergeordneten Thema Gestalt.
Weidner studierte Islamwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Göttingen, Damaskus, Berkeley und Bonn. Er hat einige Lyriker aus dem Arabischen übersetzt, darunter Adonis und Mahmoud Darwish. Weidner schreibt viel, ohne ein Vielschreiber zu sein: Die „Streitschrift“ Manual für den Kampf der Kulturen (2008), Allah heißt Gott (²2008), Mohammedanische Versuchungen (²2008), Fes (2006), .. und sehnen uns nach einem neuen Gott .. (2005), Erlesener Orient (2004), Kaffeeduft und Brandgeruch (2002), Farbe der Ferne (2000). Der Autor lebt in Köln.
Aufbruch in die Vernunft. Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen. Verlag Dietz, Berlin 2011, 256 S., broschiert, ISBN 978-3-8012-0417-4, 18,90 €