29. Oktober bis 4. November 2019
Kairo, das wussten wir natürlich schon vor unserer Reise, ist ein Moloch: laut, schmutzig, Autoabgase. Doch die Müllberge, die verkommenen Häuserfronten, der unendliche Stau auf fünfspurigen Straßen, der uns regelmäßig zwei Stunden kostete, um ins Hotel zu kommen, das machte uns doch – gerade im Zeichen des Klimawandels betroffen. Wir, das war eine Gruppe von 17 Freunden islamischer Kunst, hatten uns auf den Weg gemacht, das islamische Kairo zu erkunden. Den Impuls gab Michael Buddeberg, das Werk von Bernard O’Kane vor Augen „The Mosques of Egypt“, publiziert von der „American University in Cairo Press“. Ein – wie er uns empfahl – großartiges Werk mit glänzenden Aufnahmen und fundierten Informationen zu den Moscheen, Mausoleen, Medresen und Palästen vor allem in Kairo. Max Leonhard ist der praktische Teil der Reise zu verdanken: er kontaktierte Studiosus für die Ausführung, ihm gelang es Vortragende zu gewinnen, die uns enorm bereicherten, allen voran den ehemaligen deutschen Botschafter in Kairo Bernd Erbel.
Dass wir aber dennoch den ersten von insgesamt fünf Programmtagen der Kultur des Alten Ägypten widmeten, war bei einer Stadt mit einer 5000jährigen Vergangenheit mehr als angemessen. Wie faszinierend und facettenreich die altägyptische Kultur ist und wie sie bis in die Moderne hineinwirkt, war aufs Beste durch den Besuch der Pyramiden von Gizeh zu erleben und auch durch die großartigen Werke im Alten Ägyptischen Museum am Tahrir-Platz. Noch sind in dem völlig veralteten und verstaubten Museum mit den Vitrinen aus dem Erste Jahrhundert die Grabbeigaben des Tutanchamun zu sehen. Sie werden in Kürze – so ist zu hoffen – mitsamt den reichen Depotbeständen aus dem Alten Ägyptischen Museum in das „Grand Egyptian Museum“ umziehen, ein gigantischer Neubau in Sichtweite der Pyramiden, der den Spagat zwischen technischer, wissenschaftlicher und finanzieller Machbarkeit (Baukosten 1 Milliarde) versucht. Den Abschluss des Tages bildete ein Vortrag von Bernd Erbel, ein Highlight der Exkursion. So gewannen wir noch vor unseren Erkundungen zum islamischen Kairo einen Einblick in den ägyptischen „Volkscharakter“, den Erbel als ungewöhnlich friedfertig beschrieb, trotz des Aufruhrs 2013. Nach DNA-Analysen haben 68% der Ägypter einen pharaonischen Ursprung, nur 10% stammen von den Arabern ab. 642 n. Chr., also recht bald nach Beginn der islamischen Zeitrechnung, erreichte der Islam Ägypten, aus einem koptischen wurde ein muslimisches Land. Viele Fragen tauchten auf, wir ließen den profunden Kenner des gesamten Nahen Ostens und seiner Probleme nur ungern gehen. Vor allem nahmen wir mit, dass unser Denken in demokratischen Werten für diese Region und für Ägypten nicht praktikabel ist.
Tag zwei begann mit dem Besuch des islamischen Museums und einem kleinen Vortrag einer Doktorandin der Architektur, Dina Bakhoum, die sich mit der Denkmalpflege in Ägypten befasst. Sie berichtete über die Restaurierungen, oft durch den Aga Khan Trust finanziert. Dass noch viel viel mehr Bedarf zum Schutz der Monumente besteht, ist augenfällig: Viele der Bauwerke, die wir sahen, bräuchten dringendst eine konservatorische Betreuung. Das Museum selbst ist einigermaßen modern gestaltet, hat sehr schöne Exponate, es fehlt allerdings die für uns gewohnte Infrastruktur: Es gibt kaum Bänke, nur einen minimal bestückten Bookshop, der schwer zu finden ist, sowieso kein Café. Das aber trafen wir endlich an, als wir durch das Stadttor Bab Zuweila eintraten in die Welt des Orients, so wie man sich das im Traum vorstellt,„Tausendundeine Nacht“ im Kopf: mit Wasserpfeifen schmurgelnden Charakterköpfen in Kaftans, mit Bazaren, die den Bedürfnissen der Einheimischen gehorchen, mit Katzen, die sich um Straßenhändler mit einer Kiste Fisch scharen, mit Kaffeehäusern im Hinterhof mit Plastikstühlen, die nichts mehr als türkischen Kaffee, Tee und Minztee zu bieten haben. Die vielen Moscheen, Hamams, Medresen, die wir sahen, gehörten zumeist in das erste Jahrhundert, in das goldene Zeitalter der Mamlukenherrschaft.
Allein zwischen 1320 und 1360 entstanden in Kairo 14 Moscheen, Zeichen des Machtanspruchs der jeweiligen Herrscher. Ein gewisses Manko war, dass wir nicht die Totenstadt am Fuß der Zitadelle wenigstens kurz streiften. Sie gehört seit 1979 als Teil des „Historischen Kairo“ zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die heute von einem dichten Wege- und Straßennetz durchzogene „Qarafa“, Stadt der Toten, birgt neben einfachen Grabanlagen und Wohnhäusern auch eine Vielzahl historisch höchst bedeutsamer Bauten aus fast allen Epochen der islamischen Geschichte Ägyptens.
Tag drei begann mit dem Eintritt durch das Bab al-Futuh, eines der drei heute noch erhaltenen Stadttore der mittelalterlichen Stadt Al-Qahira, der alte Name für Kairo. Diese Tore allerdings entstanden vorrangig in der Zeit der Ayyubiden, eine sunnitisch-muslimische Dynastie kurdischer Herkunft, die von 1171 bis 1252 herrschte.
Die Stadtgründung Al-Qahira geht auf den Fatimidenkalif al-Muizz Li-Dim Allah zurück, der seine Residenz 969 n. Chr. von Kairouan/ Tunesien nach Ägypten verlegte. Die nach ihm benannte al-Muizz-Strasse gingen wir entlang, sahen zunächst die El-Hakim-Moschee von außen und besuchten im Anschluss eine Reihe weiterer Moscheen, Paläste, auch ein Hamam. Dass wir nicht das Innere der El-Hakim-Moschee an diesem Freitag zu Gesicht bekamen, war zu verschmerzen, denn der Fatimidenbau erfuhr im Laufe der Jahrhunderte diverse Umnutzungen. Erst 1980 wurde die in Ruinen liegende Moschee unter Einbeziehung erhaltener Bauteile wie Koranfragmente und Gesimse wieder aufgebaut. Das Minarett aus der Entstehungszeit blieb erhalten, ein wunderbares Beispiel fatimidischer Baukunst. Nach dem Eintritt durch eines dieser Tore tauchten wir ein in eine andere Welt, in der auch noch Pferdekarren als Transportmittel dienen, Marktfrauen Zitronen oder Oliven verkaufen. Wohlgerüche allerdings, so blumig märchenhaft beschrieben, vermissten wir, sie werden überlagert von Motorenabgasen etwa der Tuk-Tuks. Pilger aus Mumbai kreuzten unseren Weg, boten ein malerisches Bild, wie sie aus einer der Moscheen weiß gekleidet herausströmten und Platz nahmen in dem Kleinbus „Paradise Tours“.
Den Tag beschloss der Besuch des Textilmuseums, dessen Eingang unscheinbar in der Häuserzeile liegt. Es enthielt zum Teil exzellente Exponate, die auch konservatorisch bestens versorgt waren, abenteuerlich nur die Beschreibungen, die unsere Textilexperten sofort widerlegen konnten.
Der Samstag führte uns zunächst zu einem Höhepunkt ayyubidischer Baukunst, zu der 876-879 errichteten Ibn-Tulun Moschee. Benannt ist sie nach Ahmad ibn Tulun, der als Statthalter der Abbasidenkalifen über Ägypten herrschte. Sie gilt als älteste in ihrer ursprünglichen Form erhaltenen Moschee der Stadt. Die noch ältere Amr-Moschee erfuhr eine Reihe von Umbauten. Es war ein großer Genuss, diesen so schlicht anmutenden Bau von Ibn-Tolun mit dem geradezu modern erscheinenden Brunnenhaus von der breiten Terrasse auf dem Dach des Umgangs aus anzusehen, frei von Touristen, umgeben von einer Ruhe, die dem Ort entsprach, trotz der Lage inmitten der Stadt. Großartig das Minarett, mit der schneckenförmig gewundenen Außentreppe, an Samarra/Irak erinnernd. Die Entstehungszeit dieses Turms ist umstritten, wahrscheinlich ist der mamlukische Sultan Ladschin, der die Moschee 1296 restaurieren ließ, der Bauherr des Minaretts wie auch des heute bestehenden Brunnenhauses inmitten des Moscheehofes. Dass wir kurzerhand auch noch zwei an die Moschee angrenzende Häuser, heute das Gayer-Anderson-Museum, besuchten, verdanken wir der Überzeugungskraft eines Mitreisenden dem Studiosus-Führer Samir gegenüber, der in großer Sorge war, das übergroße Programm auch durchziehen zu können. Jedenfalls war es bereichernd, die Bauten aus dem 16./17. Jahrhundert zu sehen, noch voll eingerichtet mit den Sammlungsobjekten des Briten irischer Abstammung Gayer-Anderson, der von 1935 bis 1942 die Häuser bewohnt hat.
Von der Zitadelle aus, die wir im Anschluss per Bus anfuhren, genossen wir den Blick über das Häusermeer der 20-Millionenstadt Kairo und besichtigten weitere bedeutende Moscheenkomplexe, wie die Alabastermoschee, im Auftrag von Pascha Muhammad Ali in den Jahren 1824 bis 1884 im osmanischen Stil mit barocken Elementen erbaut, oder die Moschee des Sultan Hasan (1356 bis 1363).
Den letzten Tag in der 2005 angelegten „grünen Lungen“, im Al-Azhar Park, zu beginnen, war erholsam und erfrischend. Finanziert hat die Anlage das Aga Khan Development Network mit 30 Millionen Dollar als Geschenk von Aga Khan IV., dessen Vorfahren im Jahre 969 die Stadt Kairo begründet hatten. An den Park grenzen die Stadtmauer an und eine Straße mit Monumenten, um die sich ebenfalls der Sponsor kümmert. Nicht einmal zu Fuß mussten wir gehen, zwei offene Wägen fuhren uns bei längeren Abschnitten. Es gab ein blau gefliestes Kaffeehaus mit türkischen Kaffee, Tee und Minze, wie für uns geschaffen. Dann die Fahrt durch den wunderbaren Park, die wir genauso genossen wie das Lunch in einem opulenten Restaurant mit Sonnenschirmen und Blick ins Grüne. Touristisch ist hier Vorbildliches entstanden, klar nach amerikanischen Maßstäben kundenorientiert und vielleicht ein wenig zu glatt mit der sich anschließenden Evaluierung des Touristenpfades. Danach war das Ende der Reise, Zeit für einen etwaigen Bummel durch den Bazar, Ausruhen vor Ort, Packen, und den Ausblick auf eine Reise, die anstrengend, aber auch sehr sehr interessant war. Max Leonhard hat das wieder großartig in die Hand genommen, hat uns durch die engen Gassen gelotst gemeinsam mit dem ägyptischen Reiseleiter Samir, ein nicht leichtes Unterfangen in dem Menschengewirr der Altstadt. Zu oft sind wir hier oder da hängengeblieben, haben uns leiten lassen von den wunderbaren Monumenten, mussten und aber auch ganz einfach auf einer Bank ausruhen, um durchzustehen.
Ulrike Besch