War es Zufall? Genau 130 Jahre nachdem der erste Orient-Express mit Ziel Konstantinopel den Gare de l’Est in Paris verließ, kamen wir an diesem Bahnhof an.
Wir 35 allerdings waren im TGV in nur 6 Stunden von München aus nach Paris gereist. Und, wie praktisch, das ehrwürdige Gebäude diente uns auch gleich als Quartier vom 8.-11. März 2013. Der Gare de l’Est entstand 1849, betrieben hat ihn die Compagnie du chemin de fer de Paris à Strasbourg. Für uns war die Historie dieses Bahnhofs Programm: Von unserem Hotel im Bahnhof aus stiegen wir in die Metro und ließen uns zu den anvisierten Hauptzielen bringen. Das war
- die Abteilung „Kunst des Islam“ im Louvre, neu eröffnet im September 2012,
- das Institut du Monde Arabe (IMA) am Ufer der Seine und
- die Grande Mosquée de Paris im Quartier Latin.
Warum gerade jetzt drei Eröffnungen islamische Kunst in großen Häusern?
Der Louvre in Paris stellte im Herbst 2012 seine neue Abteilung vor, das L’Institut du Monde Arabe (IMA) präsentiert seine großartigen Schätze ebenfalls seit Kurzem im modernsten Gewand und auch das Metropolitan Museum of Art präsentierte seine ständige Ausstellung Islamic Art 2012. Dienen diese Aktivitäten als Antithese zu einem angeblich den Islam verunglimpfenden Westen? Sollen die Ausstellungen Feigenblatt sein und zugleich politische Toleranz demonstrieren?
In Paris sind die Karten in ganz besonderer Weise gemischt.
Das brachte uns unsere Führerin Mirela Ljevakovic nahe, die die Geschichte der Moschee rekapitulierte. 1922-26 erbaut und vom französischen Staat finanziert, war sie ursprünglich als Dank an die Muslime gedacht. Denn insgesamt 70.000 Moslems starben im Ersten Weltkrieg im Dienst der französischen Armeen, davon alleine 28.000 in der Schlacht bei Verdun.
Dass die Moschee aber auch und vor allem den Gedanken der nationalen Einheit einer Kolonialmacht spiegeln sollte, belegt die Idee eines „französischen Islam“. Weltoffen gab sich die Grande Nation um 1920, denn im 19. Jahrhundert wurde Frankreich zur zweitgrößten Kolonialmacht der Welt, mit Besitzungen in vielen Ländern muslimischen Glaubens. Als Franzosen sollten sich die Moslems in erster Linie fühlen, erst sekundär als Angehörige des Islam. Die Idee gelang aber allein schon deswegen nicht, weil es zu viele unterschiedliche Gemeinden in Paris gab, zu viele Gruppierungen mit kleinen und kleinsten Moscheen und Gebetsräumen. Was bis heute blieb, ist das riesige Areal mit einem 33 Meter hohen Minarett, inspiriert von marokkanischen und andalusischen Vorbildern, paradiesischen Höfen und Gärten mit Springbrunnen. Trotz niedriger Temperaturen und grauem Himmel fühlten wir uns versetzt in südliche Länder, vor allem auch in der schönen Bibliothek und dem idyllischen Teehaus mit authentischer Einrichtung.
Dachte man sich einen Tag zurück, als wir im Louvre das neue Department „Arts de l’Islam“ besuchten, wird Einiges deutlicher. Mit dem Selbstbewusstsein der Kolonialmacht wird hier in modernster Museumstechnik privat Geschenktes und käuflich Erworbenes ausgestellt. „Der Louvre ist mehr als nur ein Museum, er ist eine Institution der Republik“, bemerkte Präsident Hollande in seiner Eröffnungsrede der neuen Abteilung. 98 Millionen Euro hat sie gekostet. Fast die Hälfte davon spendeten der König von Marokko, der Emir von Kuwait, der Sultan von Oman, ein saudischer Prinz und Firmen wie dem Ölkonzern Total.
Zweifellos spektakulärstes architektonisches Element ist die Dachkonstruktion aus 2350 Metalldraht-Dreiecken, die sich wie ein fliegender Teppich oder Teil eines Beduinenzeltes quasi schwebend über den Cour Visconti wölbt. Von oben wirkt die Außenhaut undurchsichtig, von innen aber lässt sie das Sonnenlicht durchscheinen. Den französischen Architekten Rudy Ricciotti und Mario Bellini gelang mit diesem Zeltdach die Vereinigung der vielen diversen Exponate im ersten Ausstellungsgeschoss und gleichzeitig der Zusammenschluss von moderner und alter Architektur. Im Geschoss darunter – dieses ohne Tageslicht – konnte man weitere der 3000 ausgestellten Keramiken, Textilien, Schnitzereien und Metallarbeiten aus elf Jahrhunderten bewundern.
Mit insgesamt 18000 Objekten besitzt der Louvre eine der größten Sammlungen islamischer Kunst in der Welt.
Darunter ist das aus Syrien stammende kupferne Taufbecken Saint-Louis aus dem 14. Jahrhundert, in dem über viele Generationen Frankreichs Königskinder getauft wurden.
Gleich zu Beginn unseres Ausstellungsbesuches im Louvre blieben wir vor einem Mosaik stehen, das keines war. Es ist vielmehr die malerische Dokumentation eines Fundes von einem französischen Wissenschafter. Er entdeckte die Mosaiken aus dem 8. Jahrhundert 1926 in der großen Moschee von Damaskus. Damals waren die Kopien eine Sensation, der Stolz der Nation, später vergaß man sie im Depot. Ein ähnliches Schicksal erlitt die steinerne Portalkuppel einer Mamluken-Residenz, die in 300 Teile zerlegt von Ägypten nach Paris verschifft wurde, um auf der Weltausstellung 1889 gezeigt zu werden. Aus unbekannten Gründen blieben die Kisten unausgepackt und verschwanden in diversen französischen Depots. Jetzt lässt sich das Gewölbe wieder durchschreiten.
Dass die Neueinrichtung im Museum des Institut du Monde Arabe (IMA) mit weit geringerem Pomp gefeiert wurde, liegt nicht etwa an weniger spektakulären Exponaten. Auch nicht an der hier wie dort aufregenden Ausstellungsarchitektur, die einerseits die Kunstwerke ins rechte Licht rückt, andererseits die Sinne betört mit Klangwelten wie persischen Gedichtrezitationen, Stimmen der Muezzin oder Alltagsgeräuschen arabischer Märkte. Es liegt an dem besonderen Verhältnis der Stadt zu dieser Institution.
1987 eröffnet, galt das IMA als beispielhafte Kultureinrichtung.
Man feierte den Architekten Jean Nouvel vor allem wegen seiner Idee, den Einfall des Sonnenlichts an der Südfassade durch Tausende von Irisblenden zu regulieren.
Mit dem Motiv der Maschrabijja aus der arabischen Architektur gelang die Synthese von traditioneller Ornamentik der geschnitzten Holzgitter mit High-Tech-Architektur. Doch die kühne architektonische Idee der Lichtblenden ist heute Makulatur, sie funktionieren nicht mehr, die Reparatur würde eine Million Euro kosten, keiner will das zahlen. Dazu kommt ein Missmanagement im Institut über die Jahre, dem man aber jetzt ein Ende bereiten will.
Ob diesen Missständen auch die fehlerhaften, oder unzureichenden, oder aber schlichtweg nicht lesbaren Zuschreibungen zu den Exponaten geschuldet sind, bleibt eine offene Frage. Jedenfalls war es interessant gerade im Gegensatz zum Louvre diese museale Präsentation zu sehen, die zum Teil hervorragenden Beispiele islamischer Kultur in thematischem Kontext bot.
Kritik ist dennoch angebracht. Es ist einfach enttäuschend, etwa eine Inkunabel mamlukischer Teppichkunst in einer Vitrine hoch hängend zu sehen. Der Flor schien – falsch beleuchtet – wie Samt. Konservatorisch ist die Hängung eine Katastrophe.
Die zurzeit laufende Ausstellung „Tausend und eine Nacht“ am IMA, besuchte mancher – verwöhnt von den Dauerausstellungen – eher nur beiläufig. Zu voll, zu dunkel, zu kalt, zu französisch – vielleicht war man auch einfach nur zu müde, um all die Eindrücke aufzunehmen, die wir außerhalb unserer eigentlichen Mission, die neuen Abteilungen islamischer Kunst zu besuchen, empfingen.
Jedenfalls konnten wir an unserem letzten gemeinsamen Abend im Restaurant La Strasbourgeoise, gegenüber dem Gare de l’Est, freudig unsere Erlebnisse austauschen. Jeder von uns hatte in einem je variierenden Mosaik die Stadt intensiv erlebt. Dazu kam die gedankliche Auseinandersetzung mit den Eröffnungen der neuen Abteilungen islamischer Kunst, die wohl allesamt machtvoll aber religiös neutral Zeichen setzen im Verhältnis von Staat und Religion.
Ein großer Dank geht an unsere engagierte Führerin, die uns viele Einblicke ermöglichte und nicht zuletzt an Max Leonhard, der in bewährter Form die große Gruppe zusammenhielt und uns, was in diesem Fall besonders schwierig war, einen glanzvollen Paris-Besuch bescherte.
Den Bericht verdanken wir wieder Dr. Ulrike Besch, die Fotos oben Theingi Thè, das der Gruppe Herman Maier, die unten Ingeborg Pich.
Schön war, dass Zeit für eigene Unternehmungen blieb. Trotz sehr ungemütlichen Wetters lockten je nach persönlicher Vorliebe Wege zu den Musées des Arts Décoratifs, du Quai Branly, de l’Orangerie in den Jardin des Tuileries, Guimet oder zum Centre Pompidou mit Werken von Eileen Gray und aus der einzigartigen Sammlung Zeitgenössischer Kunst.