Schon während der Zeit als Sussan Babaie als Allianz Gastprofessorin in München tätig war, entstand die Idee, das „Europäische Bahá’i Haus der Andacht“ im Taunus zu besuchen. Die in Abadan geborene und in Teheran aufgewachsene Kunsthistorikerin gehört – wie ihre Mutter – dieser Religionsgemeinschaft an; ihr verstorbener Vater war Muslim.
Leider ließ sich der Beschluss damals nicht sofort verwirklichen, weil das im Juli 1964 eingeweihte Gebäude in Hofheim (geplant vom Frankfurter Architekten Teuto Rocholl) wegen notwendiger Renovierung und geplanter Verschönerung längere Zeit geschlossen war.
Anfang Mai 2013 nun kam Professor Babaie mit ihrem Gatten, Dr. Richard Harmon, von London – wo die beiden inzwischen neue Wirkungsstätten gefunden haben – für ein Wochenende nach Deutschland. Treffpunkt war das schöne Anwesen einer unserer Gesellschaft angehörenden Dame in der Region, etwa 15 km von Hofheim, wo sich das Europäsche Zentrum der Religionsgemeinschaft befindet.
Richard freute sich auf die Gelegenheit, das sehr ausgedehnte – leider an diesem Samstag völlig durchnässte – Gelände des Golf und Land-Clubs Kronberg am Schloss Friedrichshof für eine 18 Loch Partie zu nutzen; einem Golfer mit Handicap 11 wurde das von diesem mondänen Club großzügig gestattet. Die Damen streiften derweil durch einige ebenso elitäre Boutiquen in Kronberg.
Am Sonntag brachen wir rechtzeitig auf, um am Nachmittag einer Andacht in Hofheim beizuwohnen. Da Sussan uns angemeldet hatte, fand der Leiter des Informationszentrums, Erich Strehnisch, vorher Zeit, uns freundlich und ausführlich (fast) alles über die Bahá’i zu erzählen. Außer Sussan wusste niemand in der kleinen Gruppe viel über die im 19. Jahrhundert entstandene Religionsgemeinschaft, höchstens, dass sie nichts mit dem Islam zu tun hat und dass ihre Anhänger im Iran grausam verfolgt werden *).
Stifter war ein persischer Adeliger aus Teheran, Mirza Husain-‚Ali Nuri mit dem religiösen Ehrentitel Baha’ullah (Herrlichkeit Gottes), der von 1817 bis 1892 lebte. Von diesem Titel leitet sich der Namen der Gemeinschaft ab. Baha’ullah hatte bereits mit seiner Familie einen langen Leidensweg im Osmanischen Reich durchlitten, als er in einem Landhaus (Bahji) in der Nähe des letzten Verbannungsortes Akkon (Palästina, heute Israel) starb. Der neben dem Bahji befindliche Schrein, wo Baha’ullah begraben wurde, ist heute das bedeutendste Pilgerziel dar Bahá’i. Man zählt in 110 Staaten der Erde mehr als fünf Millionen Anhänger dieser Religion, deren geistige Basis von Baha’ulla in seinen Schriften niedergelegt wurde (insbesondere dem Kitáb-i-Aqdas). Die Ausdeutung der Schriften übertrug er testamentarisch ausschließlich seinem Sohn Abdul Baha, der damit zum Garant für die Einheit der Gemeinschaft wurde; sie kennt bis heute keinerlei Abspaltungen.
Im Kern handelt es sich um eine Religion, die den Glauben an den einen Gott zwar mit den Schriften der übrigen monotheistischen Offenbarungsreligionen, Judentum, Christentum und Islam, bekennt – und keinerlei Ausschließlichkeits-Anspruch erhebt -, jedoch sämtliche bisher auf der Erde entstandenen Religionsgemeinschaften toleriert und sich als die Religion für die Zeit der Moderne versteht. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass in der Zukunft ein neuer prophetischer Stifter auftritt, der der Menschheit eine weitere, wiederum seiner Gegenwart gemäße Religion verkündet. Dieser Gedanke wird anschaulich in einer Darstellung ausgedrückt, die man im Eingangsbereich des Informationszentrums findet; dort sind für die Zukunft zwei Segmente frei gelassen.
Der prachtvoll, in einem riesigen früheren Obstgarten, gelegene Hofheimer „Muttertempel Europas“, einer von z.Zt. sieben in der Welt, folgt den Anweisungen des Stifters; jedes Andachtshaus ist mit neun Eingangstüren auszustatten, deren Anzahl vom Zahlenwert seines arabischen Namens abgeleitet wird. Abgesehen von der beeindruckenden, weiten und lichten Kuppel gibt es im Inneren keinerlei Schmuck – sieht man von den vielen kleinen und gleichen neunstrahligen Ornamenten in den umlaufenden Glaswänden ab.
Die Andacht bestand lediglich aus der Rezitation von etwa zehn Texten, die von Gemeindemitgliedern aus dem Alten Testament (Psalm 4:2-9), den Offenbarungen des Johannes (Joh. 1:1-14), dem Koran (Sure 5:44-48) und einigen Schriften Baha’ullahs vorgelesen oder gesungen wurden. Die Vortragenden, zu denen sich auch Sussan mit einem englischen Text gesellt hatte, traten in sonntäglicher Kleidung abwechselnd vor die Gemeinde, lasen (oder sangen) würdevoll ihren Part und setzten sich wieder an ihren Platz. Insgesamt war das ein sehr berührendes, gleichwohl etwas nüchternes Erlebnis – vergleicht man es z.B. mit der Prachtentfaltung katholischer Liturgien.
Im Anschluss an die einstündige Andacht kamen mehrere Mitglieder der Gemeinde auf uns zu, und wir hatten Gelegenheit zu offenen und herzlichen Gesprächen. Nach Kaffee und Kuchen im Kreis einiger Damen und Herren der Gemeinde verließen uns Sussan und Richard in Richtung Frankfurter Flughafen.
Die Andachtshäuser der Bahá’i sind Orte der Besinnung, des Gebets und der Meditation; Schriftauslegung oder Predigten finden dort nicht statt. Sie stehen allen Menschen offen, in Hofheim (65719 Hofheim-Langenhain, Eppsteiner Straße 95) täglich von 9 Uhr bis Sonnenuntergang; Andachten Sonntags um 15 Uhr. Die anderen großen Andachtshäuser befinden sich in Panama City, Apia (WestSamoa), Sydney, Neu Dehli, Wilmette bei Chicago und Kampala (Uganda). Demnächst fertig wird ein Tempel in Santiago de Chile.
*) Siehe hierzu das Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker, Mai 2013, zu den Minderheiten im Iran; Baha’i S. 9 f.
Eine gute Übersicht über den Religionsgründer und seine Lehre bietet Wikipedia mit weiterführenden Hinweisen. Die Europäische Zentrale der Baha’i in Hofheim und den dortigen Tempel findet man → hier. (WJP)