„Er war eine jener Künstlergestalten, wie sie uns aus der Renaissance beschrieben werden: Maler, Bildhauer, Architekt, Kalligraph, musikalisch hoch talentiert, dazu mit einem weit offenen Ohr für Lyrik, besonders, wenn sie aus Persien kam.“
So beginnt ein Text mit der Überschrift „Die ständige Suche nach der Form“ von Tilman Spengler, einem Freund und berühmten Sinologen im Münchner Merkur (14.12.17). Es ist nicht leicht, unserem hochgeschätzten Mitglied in einem angemessenen Nachruf gerecht zu werden. Wir versuchen das sozusagen in zwei Kapiteln: Zunächst finden Sie hier den Beitrag, den wir von zwei alten Freunden des Verstorbenen, Prof. Dr. Sussan Babaie (The Courtauld Institute of Art, London; Allianz Gastprofessorin WS 2010/11 und SS 2011) und Prof. Dr. Avinoam Shalem (z.Zt. Riggio Professor of Art HIstory. Arts of Islam an der Columbia University New York) erhielten. In einem zweiten Teil werden wir einige Informationen aus seinem Münchner Umfeld in Erinnerung bringen.
„Obituary for Karl Schlamminger
By Sussan Babaie and Avinoam Shalem
Karl Schlamminger, German artist and teacher, best known for his logo design for the Aga Khan Award in Architecture and his work on the interior of the Ismaili Centre in London passed away on 9 December 2017 in Munich. He was 82 years old.
Schlamminger was an internationally known sculptor whose monumental designs range from the Fountain sculpture for the German Embassy in Riyadh (1987), to his “Time Piece” or Clock Tower, a feature of Moshe Safdie’s design for the Harvard Business School, in Cambridge, Massachusetts (1992), to his collaborative “Island in Time” earth sculpture at the Franz Joseph Strauss Airport, Munich (1993-95), visible to travelers as airplanes approach the airport.
For many of us, Schlamminger is best known for his elegant graphic design of the logo for the Aga Khan Award for Architecture with which Allah, the name of God in Arabic, is rendered in rectangular Kufic script, repeated four times to create an interlocking central diamond pattern. His sculptural works were inspired by his obsession with complex geometries and shapes that may at first defy logic. Examples of his public sculpture range from a number of works commissioned for the garden sculpture of the Tehran Museum of Contemporary Art (1965-79), to the “Floating Obelisk” (2001-02) sponsored by the Borusan Company in Istanbul, and his “Pendulum Obelisk” (2003) in Joachimstaler Platz in Charlottenburg-Berlin.
Following his graduation at the Academy of Fine Arts in Munich in 1964, Schlamminger started his career in Istanbul, where he taught at the Fine Arts Academy and the University of Applied Arts between 1965 and 1968. He moved to Tehran with his Iranian-born wife Nasrin and his family where he joined the Faculty of Fine Arts at Tehran University. In 1979, after the Iranian Revolution, he moved back to Munich.
Those who met him personally will always remember him for his extraordinarily spirited personality, his quick-thinking, his creative mind and his great sense of humor. Karl’s hunger to know and explore did not slow down with years but rather grew and was always mingled with his persistent desire to decipher the aesthetic codes of mystical dimensions in Islam.
Karl Schlamminger is survived by his son Saam Schlamminger and his daughter Turan von Arnim“.
Mit Karl Schlamminger verbinden vor allem die Freunde aus München und Umgebung viele Erinnerungen; hatten sie doch, teilweise seit vielen Jahren und vor allem seit seiner Rückkehr aus dem Iran, immer wieder Gelegenheit seine Arbeiten zu bewundern oder ihm bei mancherlei Gelegenheiten persönlich zu begegnen; und das war für die, die er mochte, stets eine besondere Freude.
In den Jahren 1991-1995 konzipiert und realisiert er unweit des Flughafens München das Erdzeichen Eine Insel für die Zeit in Zusammenarbeit mit dem Maler Wilhelm Holderied; dieser gibt 1995 die umfangreiche Dokumentation heraus.
1996 veröffentlicht Schlamminger unter dem Titel Zwischenfälle 1 – 22 Fotos von Fundstücken aus der Region, denen er folgenden symptomatischen Text voranstellt: „Gegenstände des Alltags samt ihrer Geschichte, wie sie insbesondere zum Zeitpunkt ihres Verfalls offenbar wird, haben über lange Jahre meine Neugier hervorgerufen und mich verführt, sie aufzuheben und im eigensinnigen Auswählen anzuerkennen als meine Werke. Es waren stets absichtslose Begegnungen, Zwischenfälle: mir widerfuhr etwas“.
Wenn Annemarie Schimmel zu Vorträgen nach München kam, fand sie in seinem, von ihm selbst entworfenen, Haus stets ein Gästezimmer vor. Annemarie Schimmel hatte den Bildhauer, den sie zu ihren engen Freunden zählte, bei einem Empfang von Prinz Sadruddin Aga Khan anläßlich einer Ausstellung kennen gelernt, wie sie in ihrer Autobiographie berichtet.
Als die Gesellschaft 2004, eine Jahr nach dem Tod der großen Orientalistin, in der Grossen Aula der LMU zu ihren Ehren eine Gedenkveranstaltung organisierte, entwarf er auf unsere Bitte eine Kalligraphie mit dem Namen unseres Ehrenmitglieds.
In keiner Zusammenstellung von biographischen Daten Karl Schlammingers fehlt der Hinweis auf seine Ehefrau Nasrin und ihren allzufrühen Tod (2007). Auch in persönlichen Begegnungen kam immer wieder die Sprache auf ihre „mythische Schönheit“, ihre Aura und den nie verwundenen Verlust nach schwerer Krankheit.
Im Jahre 2010 veröffentlichte der Künstler im Katalog Kunstwerkstatt Karl Schlamminger. Aus heiterem Himmel eine größere Anzahl von Zeichnungen auf Papier, die wohl 2008/09 in Seeshaupt entstanden waren. In dem bei Prestel erschienenen Buch finden sich einige seltene autobiographische Skizzen unter dem Titel „Miniaturen aus meinem Leben“, aus denen ich einige wichtige Ausschnitte zitieren möchte.
1935 im Allgäu geboren lebte Karl mit seiner Großmutter und zwei Brüdern bis zum Kriegsende zunächst in einem „Bauerndorf am Fuße der Zugspitze“, später erlebte er die amerikanische Besatzungszeit in Memmingen, und von heute auf morgen ‚parkte‘ man den Jungen in einem Internat in Illertissen, von wo er nach mäßigen Schulleistungen in eine Klosterschule der Benediktiner nach Augburg kam, die von einem gewissen Pater Gregor geleitet wurde.
„Pater Gregors Anleitungen für mich sammelten sich in dem Merksatz: ‚Du kannst das!‘ – also konnte ich es. Ich stieß die Kugel aus dem Stand auf Rekordweite, ich dirigierte das Blasorchester, den Schulchor und machte Theater. Gewiss, Talent war da, aber der ‚Alte‘, wie man ihn nannte, forderte es heraus, er lenkte und prägte, gleichzeitig mit dem feinen Gespür, mir meinen Spaß zu lassen. Eigentlich hätte Pater Gregor aus mir gerne einen Theologen gemacht, mein Vater sah mich als Bierbrauer, ich selbst wäre gerne Arzt geworden, doch fand sich der Klosterschüler unversehens als Student der Akademie der Bildenden Künste in München wieder. ‚Künstler wird man aus Versehen‘, so mein Sohn Saam, der selbst Musiker ist.
Es war das dritte Semester, in dem mein Lehrer, Prof. Josef Oberberger (Prof. für Malerei und Glaskunst, geb. 1905, WJP), angeregt durch eine Cézanne-Ausstellung in München, Äpfel malen ließ. Wohl nicht nur, weil ich bemerkenswerte Fähigkeiten beim Cézannieren entwickelte, überraschte er mich mit dem ausdrücklichen Auftrag, eine neue Schülerin in Obhut zu nehmen: ‚wissn’s, Schlamminger, des is a Orientalin, de san anderst, da geht net ois.‘ Sie war eine Schönheit, hieß Nasrin und wurde acht Jahre später (1964) meine Frau.
Sein Versuch allerdings, Mentor für mich zu sein, musste misslingen, weil er Gefolgschaft einforderte, statt Kreativität freizusetzen. Bei Widersetzlichkeit entzog er seine Gnade: ‚Schlamminger, Sie ham für mi z’vui Eignlem.‘ So verabschiedete ich mich nach zwölf Semestern mit dem Fazit: ‚Sie haben immer gesagt, so geht’s nicht, niemals aber, wie es geht.‘
Sommerkurs an der Akademie 1962, Vorlesung von Johannes Itten, einem der letzten großen Lehrer des Bauhauses. Klein, weißhaarig, leise im Ton, fast schüchtern, ließ er eine Hand-voll freischaffender Künstler die Utensilien – Schalen, Krüge, Vasen, Früchte und so weiter – für ihre Stillleben aufbauen, um sie dann, gewissermaßen im Handstreich, mit einem Satz abzuräumen: ‚was kann ein Bleistift?!‘ Ich, als einziger Akademiestudent, hatte nichts als Wasserfarben und Papier dabei, nahm mir aber den Satz dieses Altmeisters sehr zu Herzen“.
Von 1964-67 lehrt Schlamminger an der Hochschule für Angewandte Kunst in Istanbul, von 1967-79 an der Universität in Teheran. Diese Jahre sind erfüllt von unzähligen persönlichen Begegnungen, die zu Freundschaften wurden und nicht selten bis zu seinem Tod andauerten (s. dazu auch den Beitrag Studien im Iran in dieser Website). Die Jahre in Teheran waren auch eine fruchtbare Zeit für künstlerische Arbeiten. Davon zeugt u.a. der Katalog einer Ausstellung von Skulpuren aus den Jahren 1974-77 in der Zand Gallery in Teheran im Januar 1977, von denen man einige noch im Museum für Moderne Kunst in Teheran sehen kann.
„War ich in der Stadt, ging ich bei meinem Freund Reza Maafi in der Berliner Gasse im Zentrum Teherans vorbei. Ich kam, um zu hören. ‚Setz dich hin und schau zu!‘ war stets seine Begrüßung. Kleine Gefäße mit schwarzem Pulver, Safran, Essig und Ochsengalle, ein Tintenfass mit einem Bausch von Seidenfäden zum Abstreifen und ein Bündel verschieden breiter Rohrfedern.
Reza taucht ein, streift ab, probiert kurz auf einem Übungsblatt, setzt an und schiebt die Schwärze von rechts nach links. Während die schwarzen Zeichen entstehen, werden sie begleitet von feinem Kreischen, beim Nachlassen der Tinte von einem knisternden Stakkato, um mit einem kurzen Aufschrei die hauchdünne Lasur ausfransender Tinte zu entlassen.
Ich sei nicht geduldig genug, nicht enthaltsam genug, nicht selbstlos genug, schlichtweg nicht geeignet, die Kunst der Kalligraphie, des Schönschreibens, zu erlernen. ‚Selbst wenn du’s willst, kannst du’s nicht‘, fügte er hinzu. Ich musste es, wenn auch enttäuscht, einsehen. Immerhin lehrte mich Reza die Schrift des Maurers, Khat-e-Banaii, die kufische Schrift.“
„Zurück in Deutschland, nach einer überstürzten Flucht vor der Revolution“ ergab sich, wie Schlamminger schreibt, eine erste Gelegenheit, die neue Fertigkeit anzuwenden. Er entwirft für die Aga Khan Stiftung, die moderne islamische Architektur fördert und auszeichnet, ein Logo aus kufischen Schriftzeichen, das nicht nur von der Stiftung dauerhafte verwendet wird, sondern für ihn der Beginn einer Zusammenarbeit mit den Autoritäten der Ismailiten für Projekte in den Ismaili Centren in London und Toronto wurde. In Lissabon ließ er eine große Wand mit den „99 Namen Allahs“ aus einfarbigen quadratischen Steinen dekorieren. Für den Prinzen Aga Khan, den geistigen Führer dieser Gruppe von Schiiten, ließ er in einem großformatigen Band aus weißem Leder auf die einzelnen Seiten aus Büttenpapier alle 99 Namen in der selben kufischen Schrift prägen; ein zweites Exemplar verblieb beim Künstler.
Im Februar 2011 trafen sich in Schwabing Sussan Babaie, unsere damalige Allianz Gastprofessorin, mit ihren Studenten und Karl Schlamminger, um ein paar Teppiche anzuschauen; wir waren erstaunt, dass Studierende der Islamischen Kunstgeschichte kaum Kenntnisse über Orientalische Teppiche mitbrachten.
2010 beteiligte sich der Künstler am Katalog der Ausstellung Die Aura des Alif. Schriftkunst im Islam, die im Staatlichen Museum für Völkerkunde stattfand, mit dem Beitrag Das feine Kreischen des Schreibrohrs und die Schrift des Maurers. Über Kalligraphie und islamische Architektur.
Wir brachten den Beitrag nach einem gleichnamigen Vortrag in erweiterter Fassung 2012 in EOTHEN V, S. 275 ff. (Khat-e-Banai. Die Schrift des Maurers).
Um die Jahreswende 2012 begann Schlamminger mit einem Projekt, in dem er zunächst eine große Anzahl persischer ‚Stichwörter‘ in kufischer Kalligraphie darstellte, doch dazu nicht ihre „Wörterbuchübersetzung“, sondern ihre metaphorische Bedeutung notierte (Hefte in Spiralbindung, 8°, nicht für den Handel bestimmt, erste Ausgabe 38 Begriffe mit, zweite Ausgabe 125 Begriffe ohne Angabe der Bedeutungen).
Im Großformat waren diese und andere Kalligraphien mit persischen Versen dann von Mai bis Juli 2013 Gegenstand einer Ausstellung im Max-Planck Institut für Biochemie in Martinsried. Siehe dazu den Beitrag in dieser Website „Ausstellung Kufischer Kalligraphie von Karl Schlamminger„. Hier ein Exemplar, das sich in einer Münchner Anwaltskanzlei befindet.
In der Wohnung eines Mitglieds unsere Gesellschaft befindet sich diese Tischuhr. Sie gehört zu den relativ wenigen Objekten aus dem Bereich Design (z.B. Wasseruhren, ein Fernglas, Tischlampen, Dosen aus dicken Ästen, Stühle und Hocker) die Schlamminger wohl aus einer Lust an ernsthaften Formexperimenten, aber auch einem zu seinem Humor passenden „Spieltrieb“ im Zusammenhang mit der großen Zahl großer und kleiner Arbeiten aus den Bereichen Graphik und Bildhauerarbeiten fertigte.
Eine breite Übersicht über die wichtigsten Objekte seines vielfältigen Schaffens sowie seiner Publikationen (bis hin zum Katalog seiner Sammlung von persischen Bildteppichen, die er dem Münchner Völkerkundemuseum schenkte) bietet die von ihm 2016 in Auftrag gegeben Website http://www.karlschlamminger.de/. Dort kann man auch die hier nur auschnittsweise wiedergegeben Texte vollständig nachlesen. Ein früherer Film auf Youtube https://www.youtube.com/watch?v=OPS84RCU9Wk enthält außerdem einige interessante Beispiele für die Konzeption seiner Schöpfungen.
Noch zum Jahreswechsel 2016/17 sandte Karl Schlamminger – obschon nicht mehr gesund – seinen Freunden das Foto einer vor kurzem vollendeten Skulptur mit der optimistischen Versicherung „Alles wird gut!“. Heute wissen wir, dass das Licht den Schatten nicht überwand.
Ein Stück weit hat Navid Kermani das Leben seines Freundes Karl Schlamminger und der Familie – überwiegend wohl aus der Ferne – begleitet und in seinem Roman Dein Name (2011) ihre tragische Leidensgeschichte verschlüsselt in die Schilderung seines eigenen Lebens eingeflochten. Damit hat er Karl Schlamminger und den Seinen bereits zu Lebzeiten des Künstlers ein Denkmal gesetzt.
Die postalische Anzeige, die den Tod des Bildhauers – wie Kermani seinen Freund im Buch nannte – zur Gewißheit machte, war von einem wunderbaren Foto sowie von dem Text in Handschrift begleitet, den man auch in der Zeitung lesen konnte; wenn das so, wie man vermuten kann, noch vom Verstorbenen vorbereitet wurde, kann man darin einen letzten persönlichen Abschiedsgruß erkennen. Alle, die ihn kannten, werden ihn nie vergessen.