Der Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin gab den Tod unseres Mitglieds Dr. Annettte Hagedorn bekannt. Die Gesellschaft wird ihr allezeit ein ehrendes Gedenken bewahren.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kollegen und Freunde des Museums,
mit großer Trauer müssen wir uns von Annette Hagedorn verabschieden, die am 2. Oktober friedlich verstorben ist. Sie war mit dem Museum freundschaftlich eng verbunden und ich – wie auch einige andere Wissenschaftler meiner Generation – haben ihr viel zu verdanken. Anbei ein Nachruf von Dr. Jens Kröger.
Mit bestem Gruß,
Prof. Dr. Stefan Weber
Direktor Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum
Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Annette Hagedorn
16. August 1958 – 2. Oktober 2014
Annette Hagedorn wuchs in Bonn in einem schwierigen familiären Umfeld auf und musste später zusätzlich mit der Krankheit Multiple Sklerose leben. Mit starkem Willen und großer Energie hat sie ihre Situation akzeptiert und dennoch ihr Studium absolviert und sich gleichzeitig mit einer anstrengenden Arbeit als Geschäftsführerin einer Gaststätte in Bad Godesberg ihren Lebensunterhalt erfolgreich gesichert.
Von 1978 bis 1991 studierte sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität in Bonn Orientalische Kunstgeschichte, Kunstgeschichte und neuere Deutsche Literaturwissenschaften. 1991 wurde sie mit der Arbeit „Die Blacas-Kanne. Zur Ikonographie und Bedeutung islamischer Metallarbeiten des Vorderen Orients im 13. und 14. Jahrhundert“ promoviert. Die Stadt Mosul als Kunstzentrum blieb ein Thema, das ihr auch später viel bedeutete. Bereits während des Studiums entwickelte Annette Hagedorn ein besonderes Interesse an dem damals kaum beachteten Thema des Orientalismus in der europäischen Kunst. Von 1991-1995 arbeitete sie mit Postdoktorandenstipendien der Fritz Thyssen Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema „Orientalismus in der Keramik-Kunst Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“. Längere Forschungsaufenthalte dazu führten sie von 1994 – 1997 in zahlreiche europäische Länder. Zwar konnte sie diese Arbeit, die als Habilitationsschrift geplant war, wegen ihrer Erkrankung nicht zu Ende führen, aber aus ihren Forschungen heraus entstand die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz veranstaltete, wegweisende Ausstellung „Auf der Suche nach dem neuen Stil. Die Einflüsse der osmanischen Kunst auf die europäische Keramik im 19. Jahrhundert“, die1998/1999 in Bonn, Mettlach und Schloss Cappenberg gezeigt wurde und Fragestellungen thematisierte, die später vielfach in anderer Form aufgenommen wurden. Die Recherchen in Zusammenhang mit diesem Thema boten ihr Einblick in zahlreiche Sammlungen islamischer Kunst auch in Deutschland und führten 2004 zu einer gemeinsam mit Joachim Gierlichs herausgegebenen Publikation zu den Beständen islamischer Kunst in Deutschland.
Von 1990 – 1998 nahm Annette Hagedorn Lehraufträge für Islamische Kunstgeschichte und Orientrezeption an den Universitäten in Bonn, Mainz und Utrecht wahr. Dabei zeigte sich ihr Engagement und ihr besonderes pädagogisches Talent im Umgang mit Studenten. Ab 2000 lebte sie als wissenschaftliche Autorin in Berlin und war von 2000 bis 2009 Mitherausgeberin der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Annette Hagedorns Hauptinteresse galt dem Phänomen des Orientalismus im europäischen und amerikanischen Kunstgewerbe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 2003 beteiligte sie sich an einem Katalog des Institutes für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften mit einem Beitrag zu „Glas und Keramik in orientalisierendem Stil“ der Sammlung Fuat Sezgin. Ganz besonders interessierte sie sich zudem für die in Spanien produzierten Alhambra-Vasen. Zu diesem Themenbereich publizierte sie mehrere Artikel, die die Bewunderung und Wiederentdeckung der Alhambra-Vasen und ihren Einfluss auf die europäische Keramikproduktion im 19. Jahrhundert betrafen. Angeregt durch diese Forschungen wurden ihr die Ankäufe spanischer Keramik von Karl Ernst Osthaus für sein Deutsches Folkwang Museum in Hagen ein besonderes Anliegen. In der mit Avinoam Shalem herausgegebenen Festschrift für Jens Kröger anlässlich dessen 65. Geburtstages schrieb sie über die Bedeutung der Reise des amerikanischen Künstlers Louis Comfort Tiffany nach Nordafrika.
Eine Besonderheit in den Interessen von Annette Hagedorn bestand darin, dass sie sich nicht nur unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten mit angewandter Kunst beschäftigte, sondern auch eine große Liebe zu Form, Glasur und ästhetischer Ausstrahlung von Keramik besaß. Dadurch und durch ihre Biographie wurde sie zu einer Sammlerin der deutschen Keramik der 50er Jahre. 2011 schenkte sie ihre große Sammlung dem nach dem Vorbild islamischer Motive auf spanischer Keramik arbeitenden Keramikkünstler Jose Luis Parra in La Rambla bei Toledo in Spanien, wo seither Teile ihrer Sammlung im August eines jeden Jahres anlässlich einer Keramikmesse ausgestellt werden. Ihre Liebe zu türkischen Keramikobjekten der im Stile der osmanischen Iznik-Keramik arbeitenden Werkstätten des 20. Jahrhunderts führte zu einem zweiten Sammelgebiet. Entsprechend ihrer großen Neugier sammelte sie zudem in einer umfangreichen Bibliothek Literatur zu allen sie interessierenden Gebieten.
Annette Hagedorn begeisterte sich aber auch für das Thema der Rezeption der islamischen Kunst bei europäischen Künstlern. Hierzu erschien 2010 ihr Aufsatz „Der Einfluss der Ausstellung ‚Meisterwerke muhammedanischer Kunst‘ auf die zeitgenössische Kunst“, wobei es ihr besonders auf die Übertragung der Prinzipien islamischer Kunst und ihre Bedeutung für die Malerei der europäischen Avantgarde ankam. Zudem faszinierte sie die Entwicklung der islamischen Kunst von der Frühzeit bis heute. 2009 verfasste sie die in zahlreiche Sprachen übersetzte Einführung „Islamische Kunst“. Seit 2007 beschäftigte sich mit dem Thema „Privatsammler islamischer Kunst im Deutschen Reich von 1870 bis 1939“, jedoch konnte sie krankheitsbedingt die notwendigen Recherchen nicht abschließen. Ihre letzte Publikation war ein Aufsatz zur angewandten Kunst der islamischen Welt im 20./21. Jahrhundert, der 2013 in dem vom Bard Institute in New York herausgegebenen Handbuch „History of Design. Decorative Arts and Material Culture, 1400-2000“ erschien.
Ihre durch die Krankheit voranschreitende Immobilität führte entsprechend ihrem unbeugsamen Willen zur Selbstbestimmung zum Freitod in der Schweiz.
Ein Nachruf erscheint auch in der ZDMG 165,1 (2015).